Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
werden würde. Aber nichts geschah. Ibn Sheikh und Abu Bakr sahen sich kurz an, keiner von beiden sagte ein Wort.
Kurz vor dem Ende meines Aufenthalts in Khaldan erzählte mir Abu Bakr, dass er und Ibn Sheikh sich später an diesem Abend diese Geschichte immer wieder erzählt hätten und dass er niemals zuvor oder danach Ibn Sheikh so herzhaft habe lachen hören.
TADSCHIKISTAN
Eines Tages kam ein Mann ganz allein und ohne Führer im Lager an. Wir waren gerade alle in der Kantine, als er vor dem Lagereingang stehen blieb. Wir schauten uns an, aber keiner sagte ein Wort, nur Ibn Sheikh stand auf und ging nach draußen. Wir konnten beobachten, wie er mit dem Neuen einige Minuten redete. Dieser war Afrikaner, ob Somalier, Äthiopier oder Eritreer war uns nicht ganz klar. Allerdings schloss ich aus der Art, wie er seine Augen bewegte, dass etwas mit ihm nicht ganz in Ordnung war.
Bald gingen zwei weitere Ausbilder nach draußen, um mit dem Neuankömmling zu sprechen, während Ibn Sheikh in die Kantine zurückkam und uns aufforderte, in nächster Zeit unsere Kalaschnikows genau im Auge zu behalten und sie nicht zu weit von uns wegzulegen.
Nach dem Essen machten wir mit unserer Ausbildung weiter. Als wir abends zurückkehrten, war der Afrikaner nicht mehr da. Wir erfuhren, dass Abu Bakr auf einmal den Mann zu Boden geworfen und ihm Handschellen angelegt habe. Danach hatten sie per Funk einen Geländewagen angefordert, der ihn zurück nach Pakistan bringen sollte.
Am Abend erklärte uns Ibn Sheikh, dass der Mann überhaupt keine Papiere bei sich gehabt habe. Er sei zuvor schon einmal hier im Lager gewesen, dann aber nach Pakistan zurückgekehrt. Und jetzt habe er plötzlich wieder an der Lagerausbildung teilnehmen wollen. Ich war überrascht, dass er einen Bruder wieder weggeschickt hatte, der schon einmal im Lager gewesen war – und das Ganze dann auch noch auf solch dramatische Weise. Als ich ihn nach den Gründen fragte, erklärte Ibn Sheikh als Erstes, dass er sehr vorsichtig sein müsse und keinen ins Lager lassen dürfe, der nicht die richtigen Papiere besitze. Aber dann fügte er noch hinzu, dass mit dem Afrikaner etwas nicht mehr in Ordnung sei, dass in dessen Kopf irgendetwas nicht mehr ganz stimme. Es sei aber nun ganz wichtig, solche Leute dem Lager fernzuhalten, da sie sehr gefährlich werden könnten. Einmal habe er gesehen, wie ein Bruder plötzlich in eine Kriegsneurose verfallen sei und die Nerven verloren habe. Eines Tages habe er seine Kalaschnikow gepackt, sei in die Moschee gegangen und habe dort um sich geschossen. Dabei habe er vier Brüder getötet und zehn weitere schwer verwundet. Ibn Sheikh musste wohl wirklich äußerste Vorsicht walten lassen.
Diese „Schlachtenmüdigkeit“, wie sie oft genannt wird, stellte eine echte Gefahr dar. Manchmal ließ sie Leute überschnappen, manchmal aber nur zu sorglos und nachlässig werden. Einmal wies mich Ibn Sheikh auf eine Stelle des Übungsgeländes hinter dem Lager hin. Er erzählte mir, dass einige Monate vor meiner Ankunft eine Gruppe von sieben Tschetschenen dort mit Mörsern geübt habe. Dabei habe einer zufällig eine präparierte statt einer normalen Granate aufgehoben. Beim Laden des Mörsers sei sie sofort hochgegangen und habe die gesamte Gruppe getötet.
Manchmal glaubte ich selbst, langsam verrückt zu werden. Kurz nachdem Ibn Sheikh ins Lager gekommen war, machte ich ein Nickerchen vor dem Eingang zu einer der Höhlen. Dabei hatte ich einen ungeheuer lebhaften Traum. Ich träumte, ich läge genau vor dieser Höhle und Abu Suhail stünde über mir und hielte mir eine Pistole an die Stirn.
Gerade als er dabei war, den Abzug zu betätigen, wachte ich auf. Ich brauchte mehrere Sekunden, bis mir klar wurde, dass Abu Suhail nicht über mir stand und nicht einmal im Lager war. Er war ja immer noch mit Abu Bakr in Tadschikistan. Es war nur ein Alptraum gewesen, nichts sonst. Aber trotzdem schwitzte ich jetzt am ganzen Körper, und mein Herz raste wie wild.
Wenige Tage später erzählte uns Ibn Sheikh, er habe über Funk von Abu Bakr gehört, dass Abu Suhail am Freitag davor durchgedreht sei. Im Rahmen ihres Auftrags musste die Gruppe einen reißenden Fluss überqueren. Als dabei drei Tadschiken ertrunken seien, habe Abu Suhail einen Nervenzusammenbruch erlitten, von dem er sich seitdem noch nicht erholt habe.
Ich war verblüfft, dass all dies an demselben Tag stattgefunden hatte, an dem ich diesen Traum gehabt hatte. Mir wurde klar,
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