Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
woraufhin mir Ibn Sheikh einen finsteren Blick zuwarf. Da ich nicht damit aufhörte, ließ er mich abends nicht mehr für sie übersetzen.
Auch auf anderen Gebieten eckte ich an, ohne dass es aber jemals eine wirklich ernsthafte Sache gewesen wäre. So suchte ich mir bei den Morgenläufen manchmal Abkürzungen. Wenn es herauskam, durfte ich mir wieder einmal einen Tadel bei Ibn Sheikh abholen. Immer wieder versuchten er und die anderen Ausbilder, mein Verhalten durch Extrarunden und andere körperliche Übungen zu ändern. Wenn Ibn Sheikh selbst mich zur Rechenschaft zog, näherte er sein Gesicht dem meinen bis auf wenige Zentimeter an und starrte mir dabei direkt in die Augen. Es war eine Herausforderung. Er wollte sehen, wie viel ich aushalten konnte. Ich starrte immer zurück und zeigte niemals Zeichen von Aufregung oder Bestürzung.
Wenn Ibn Sheikh abends die Aufgaben verteilte, wählte er mich fast immer für den nächtlichen Wachdienst aus. Das war ein schrecklicher Job. Es war bitterkalt, und ich konnte die ganze Nacht kein Auge zumachen. Ich wurde so oft zur Wache eingeteilt, dass es nach einigen Monaten schon zu einem Witz wurde. Wenn die Auswahl des Wachdienstes anstand, trat ich bereits nach vorne, noch bevor Ibn Sheikh überhaupt meinen Namen aussprechen konnte. Die Brüder lachten dann aus vollem Hals, was ihn noch wütender machte.
Der beliebteste Job im ganzen Lager war der des Gebetsrufers. Der Muezzin konnte den ganzen Tag im Lager bleiben und sich ausruhen, während die anderen trainieren mussten. Ich bekam nur ein einziges Mal diese Aufgabe zugewiesen. Meine Stimme war so schlecht, dass sich die Brüder beschwerten und ich von da an nie mehr zum Gebet rufen durfte.
Immer wieder erklärten uns Ibn Sheikh und die anderen Ausbilder, wie wichtig es für jeden Bruder sei, Teil einer Gruppe zu sein. Die Gruppe mache jeden Bruder stärker, als er es als Einzelner je sein könnte. Ohne die Gruppe würden wir sehr leicht den Mut verlieren und schwankend werden.
Natürlich war das vollkommen richtig. Wenn ich mit den Tschetschenen zusammen war, fühlte ich mich der Gruppe vollkommen verpflichtet. Obgleich ich manchmal kleine Späßchen machte, so war ich doch bereit, alles für meine Gruppe und unser Training zu geben. Je mehr ich darüber hörte, was sie in Tschetschenien durchgemacht hatten, desto lieber wollte ich mit ihnen dorthin zurückkehren und Rache üben. Ihr Dschihad war zu meinem geworden.
Aber in gewisser Weise unterschied ich mich doch von den anderen Brüdern. Ich war in Europa aufgewachsen und hatte den dort herrschenden Individualismus in mich aufgenommen. Ich behielt mein eigenes, unabhängiges Denken bei und sagte laut, wenn ich mit etwas nicht übereinstimmte. Ich war auf eine Weise frei, die den anderen verschlossen war.
An einem Freitag im Spätherbst hatte ich es schließlich endgültig satt, die Toiletten zu putzen. Das war schon immer eine ekelhafte Angelegenheit gewesen. Aber je kälter es nun wurde, desto grauenvoller sahen diese Toiletten aus, da die Brüder nun überhaupt nicht mehr zum Fluss hinuntergehen wollten, um sich zu säubern.
Als an diesem Abend das Gebet vorbei war, entschloss ich mich, die Sache anzusprechen. Abu Bakr schien etwas zu ahnen, denn als er aufstand und fragte, ob jemand von uns etwas sagen wolle, schaute er direkt in meine Richtung. Ich hob auch sofort die Hand.
„O.k., Abu Imam. Was hast du uns mitzuteilen?“Abu Bakr verdrehte ganz leicht die Augen, als er das sagte, und einige Brüder lachten bereits still in sich hinein.
Ich stand auf und stellte mich vor die gesamte Gruppe. „Bismillah Arahman Arahim wa Asalt wa Aslam Ala Rasoul Allah, Sayedna Muhammad Sala Allah Alihi wa Salam“, begann ich mit gespieltem Ernst, um dann fortzufahren: „Meine lieben Brüder, heute Abend möchte ich über die ganze Scheiße reden, die ihr mir zum Wegputzen hinterlasst. Der Prophet sagt, dass man sich mit Steinen reinigen darf, wenn es einmal kein Wasser geben sollte. Aber fünf Meter von den Toiletten entfernt gibt es Wasser! Ihr wollt es nur deshalb nicht benutzen, weil es zu kalt ist. Deswegen muss ich nun jeden Freitag diese Steine von eurer Scheiße reinigen.“
Nachdem ich mich wieder hingesetzt hatte, herrschte tiefes Schweigen. Ich sah, wie die Blicke der Brüder zwischen Ibn Sheikh, Abu Bakr und mir hin- und herwanderten. Niemand hatte bisher im Lager in einem solchen Ton gesprochen, und sie wollten sehen, ob ich dieses Mal dafür bestraft
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