Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
kommen wollten, aber von Ibn Sheikh schon vorher abgefangen worden seien. Ein Einwohner des Nachbardorfs hatte ihn damals rechtzeitig gewarnt, so dass Ibn Sheikh die Taliban zusammen mit einigen Dorfbewohnern aufsuchen und mit ihnen reden konnte.
Auch damals waren die Taliban aus einem ganz bestimmten Grund gekommen: Sie brauchten Waffen. Sie waren schon durch das ganze südliche Afghanistan von Lager zu Lager gezogen und hatten verlangt, dass deren Emire ihnen alle ihre Schusswaffen übergeben sollten. Diese hatten sie ihnen dann aus Angst tatsächlich ausgeliefert. Nur nach Khaldan waren sie damals nicht gekommen, da Ibn Sheikh außerhalb des Lagers sechs Stunden mit ihnen verhandelt hatte, wobei ihm ein Dorfbewohner als Dolmetscher diente. Am Ende konnte er sie davon überzeugen, Khaldan in Frieden zu lassen. Er erklärte ihnen unter anderem, dass niemand dort für den Kampf in Afghanistan ausgebildet werde. Stattdessen bereiteten sie Mudschahidin darauf vor, in der übrigen Welt zu kämpfen. Die Brüder im Lager würden denselben Dschihad wie die Taliban kämpfen, nur an einem anderen Ort.
Auch dieses Mal zogen die Taliban nach einigen Stunden ab. Weder Ibn Sheikh noch Abu Bakr erzählten jemals, was in dieser Nacht geschehen war. Aber an diesem Freitag fragte ein Bruder Ibn Sheikh, ob der Dschihad der Taliban gerechtfertigt sei. Ibn Sheikh dachte einen Moment nach und gab dann eine knappe Antwort. „Niemand von euch ist hier, um gemeinsam mit den Taliban zu kämpfen“, sagte er. „Ihr seid hier, um euch auf den Kampf in eurem Heimatland vorzubereiten.“
Der Bruder gab sich damit aber noch nicht zufrieden. Zwar ging Ibn Sheikh darauf ein, aber es war klar, dass er seine Worte sehr sorgfältig wählte. Die Taliban seien nicht so gebildet wie wir und deshalb sei ihr Verständnis der Scharia mangelhaft. Andererseits wolle Rabbani in Afghanistan die Demokratie einführen, während die Taliban einen islamischen Staat errichten wollten. Aus diesem Grund verdienten die Taliban eine gewisse Unterstützung.
„Wenn jemand von euch sich eines Tages dafür entscheiden sollte, mit den Taliban zu kämpfen“, sagte er dann, „wäre das nicht falsch.“Er machte eine Pause, bevor er fortfuhr. „Aber es wäre weit besser für euch, wenn ihr euren Dschihad gegen die Besatzer in Jerusalem oder die Mörder in Tschetschenien führen würdet.“
KRANKENSTATION
An einem Tag im Herbst ging ich gerade an der Moschee vorbei, als Ibn Sheikh mich aufhielt. Er rief mich zu sich und bat mich, neben ihm Platz zu nehmen. Als wir beieinander saßen, begann er zu sprechen.
„Abu Imam“, sagte er. „Du wirst nicht mit den Brüdern nach Tschetschenien gehen. Wir haben anderes mit dir vor.“
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Darauf war ich nicht gefasst gewesen. Monatelang hatte ich jetzt mit den Tschetschenen trainiert, in der Erwartung, sie nach dem Ende der Ausbildung in ihr Heimatland zu begleiten. Wir hatten das oft besprochen. Ich hasste die Russen, seitdem sie noch in meiner Teenagerzeit in Afghanistan einmarschiert waren, und ich hasste sie jetzt noch weit mehr, nachdem ich gehört hatte, was sie den Brüdern in meiner Gruppe angetan hatten. Ich hatte oft davon geträumt, Mudschahid zu werden. Jedes Mal, wenn ich ein Gewehr abfeuerte, einen Sprengkörper zündete oder eine bestimmte Kampftaktik übte, hatte ich dabei die Vorstellung, dass ich diese Fertigkeiten bald gegen die russischen Invasoren anwenden würde. Tschetschenien war ein Krieg, an den ich wirklich glaubte.
Aber da war nichts, was ich hätte tun können. Ich durfte Ibn Sheikhs Anordnungen nur dann hinterfragen, wenn sie unklar formuliert waren oder ich sie nicht genau verstand. Aber dies hier war ein direkter Befehl. Aus diesem Grund sagte ich nichts, nickte nur leicht und ging zurück in unseren Schlafsaal.
An diesem Nachmittag ging ich ganz allein hoch in die Berge. Alles drehte sich in meinem Kopf, ich war am Boden zerstört und völlig verwirrt. Ich stieg immer höher, bis das Lager fast nicht mehr zu sehen war, setzte mich dann auf einen Felsen und blickte in die untergehende Sonne. Ich schlang meine Arme um mich, um mich gegen den kalten Herbstwind zu schützen. Und dann rief ich Gott an. „Gott, warum lässt du mich nicht mit nach Tschetschenien gehen? Warum lässt du mich nicht zum schahid werden?“
Natürlich gab es keine Antwort. Man hörte nur den Wind, der durch die Schluchten pfiff. „Wenn du mich nicht nach Tschetschenien gehen
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