Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
lässt, dann lass mich wenigstens ein ganz normales Leben führen“, rief ich aus. „Gib mir eine Frau. Gib mir ein Kind. Gib mir ein Zuhause.“
Mein Gesicht war starr vor Kälte. Ich merkte, dass ich weinte und dass die Tränen auf meiner Haut gefroren. Und dann sah ich sie, direkt vor mir. Eine schöne Frau mit langem, braunem Haar und einem liebenswürdigen Lächeln. Gott hatte mein Flehen erhört. Aber dann verschwand sie so schnell, wie sie gekommen war, und ich war wieder ganz allein.
Am nächsten Tag teilte mir Ibn Sheikh mit, dass ich ab jetzt die Krankenstation übernehmen sollte. Ein äthiopischer Bruder hatte sie geleitet, seit ich nach Khaldan gekommen war. Da er jetzt aber das Lager verlassen würde, sollte ich ihn ersetzen. Ich hatte zwar überhaupt keine medizinische Ausbildung, aber vielleicht glaubten die Lageroberen, dass ich mich im Sanitätswesen auskennen würde, weil ich damals Abu Bakr diese Spritze gegeben hatte.
Die Krankenstation lag in der Nähe der Moschee vor einer der Höhlen. Sie war nicht sehr groß, aber recht gut mit allen möglichen Arzneien, Verbänden, Antiseptika und chirurgischen Instrumenten ausgestattet. Es waren auch viele englischsprachige Bücher und Schriften vorhanden, in denen ausführlich die Behandlung der unterschiedlichsten Verletzungen und Krankheiten dargestellt wurde.
Da ich nicht mehr mit den Tschetschenen trainierte, hatte ich zu Anfang an meiner neuen Wirkungsstätte viel freie Zeit. Ich nahm noch an den Morgenübungen teil, war aber an den Nachmittagen freigestellt. So konnte ich die ganzen medizinischen Vorräte kennenlernen und sortieren und mich in den Büchern über die Grundlagen des Sanitätswesens informieren.
Bald darauf trafen dann auch die ersten Patienten ein. Viele Brüder hatten sich im Lager mit Malaria angesteckt. Außerdem gab es alle möglichen Hautkrankheiten und -entzündungen. Auch die Afghanen aus dem Nachbardorf ließen sich ab und zu im Lager behandeln. Sie hatten gewöhnlich Magen- oder Darmbeschwerden wegen des schlechten Trinkwassers, das ihnen zur Verfügung stand.
Manchmal schliefen nachts bis zu fünf Patienten, um die ich mich alle kümmern musste, in meiner Krankenstation. Aber dies fiel mir nicht schwer. Ich hatte als Kind so viel Zeit in Krankenhäusern verbracht, dass ich mich in Gegenwart von Kranken in keiner Weise unwohl fühlte. Sollte ich einmal nicht wissen, was ihnen fehlte, konnte ich in einem meiner Handbücher nachschauen. Trotzdem vermisste ich das Training mit den Tschetschenen und war oft gelangweilt.
Eines Nachmittags saß ich gerade in der Kantine, als ein Ausbilder herbeieilte und mich aufforderte, in die Krankenstation zu kommen. Ibn Sheikh würde dort auf mich warten. Als ich ankam, standen dort einer der beiden afghanischen Köche – derjenige, der sprechen konnte -, Ibn Sheikh und zwei Jungen aus dem Dorf. Der eine war etwa zwölf Jahre alt und hielt einen viel kleineren Jungen im Arm, der höchstens sechs oder sieben Jahre alt war.
Der Kopf des Kleineren war mit einem Tuch bedeckt. Als der Ältere es entfernte, sah man, dass er eine klaffende Kopfwunde hatte. Der ältere Bruder versuchte zu erklären, was passiert sei. Der Koch übersetzte, dass der Junge hingefallen war und sich dabei den Kopf an einem Stein aufgeschlagen hatte.
Ich setzte den kleinen Jungen auf einen Stuhl direkt vor dem Eingang zur Sanitätsstation, weil es dort hell genug war, um ihn zu untersuchen. Die Wunde war sehr tief. Ich konnte bereits den Schädelknochen des Jungen sehen. Außerdem blutete sie stark. Beide Jungen waren bereits von oben bis unten voller Blut, und schon bald war ich es auch.
Der Junge war kaum noch bei sich. Seine Augen waren bereits glasig, und sein Kopf rollte von einer Seite zur anderen. Ich musste ihn mit der Hand am Genick festhalten, um seine Wunde untersuchen zu können. Er fühlte sich ganz winzig an.
„Abu Imam“, sagte Ibn Sheikh. „Diese Wunde muss genäht werden.“
Ich hatte jetzt meine Befehle, aber keine Ahnung, wie ich sie ausführen sollte. Bisher hatte ich gerade einmal Schmerzmittel ausgeteilt und kleinere Verletzungen mit Antiseptika behandelt. Chirurgische Eingriffe hatte ich noch nie ausführen müssen. Das Einzige, was ich jemals im Leben genäht hatte, waren Löcher in meinen Jeans gewesen.
Meine Gedanken rasten. Mir fiel ein, dass ich einmal als Kind in den Sommerferien in Marokko vom Fahrrad gefallen war und mir das Bein aufgeschlagen hatte. Meine Mutter hatte
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