Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
Europa kopiert und nach dem Freitagsgebet in den Moscheen verkauft.
Der Filmemacher hatte eine Kiste ins Lager mitgebracht, und ich hatte gesehen, wie er sie vor seiner Abreise im Schuppen weggeschlossen hatte. Ich hatte diesen Vorgang ganz vergessen, aber jetzt schien es mir sehr wichtig, dies alles noch einmal zu rekapitulieren. Ich hatte dieses instinktive Gefühl, dass ich Afghanistan bald verlassen würde. Ich musste nach Europa zurückkehren, bevor Gilles den Kontakt abbrach. Und ich musste etwas vorzuweisen haben. Ich war immerhin seit beinahe einem Jahr in Afghanistan und kannte noch immer keinen einzigen Klarnamen irgendeines Mudschahid.
Zuerst räumte ich den Schuppen auf, dann vergewisserte ich mich, dass mich niemand beobachtete, und dann machte ich mich daran, das Schloss an der Kiste des Filmemachers zu knacken. Mein Herz klopfte heftig. Sollte ich erwischt werden, würde man mich sofort töten. Wir sollten einander ja nicht einmal Fragen stellen, aber das Durchwühlen des persönlichen Eigentums eines Bruders war eine schwere Verletzung sämtlicher Prinzipien, die man uns beigebracht hatte. Das Bild vom Piloten, dem man Motoröl injiziert hatte, schoss mir wieder durch den Kopf.
Ich spürte den Schweiß auf meiner Stirn, als ich die Kiste öffnete. Sie enthielt mehrere Videobänder, eine 9-mm-Makarow-Pistole und verschiedene von europäischen sowie von Golfstaaten ausgestellte Reisepässe. Dort gab es nichts, was für mich besonders nützlich gewesen wäre, und so schloss ich die Kiste schnell wieder und stellte sie zu den anderen zurück. Ich fühlte, wie ich zitterte, als ich zu den Baracken hinüberging, um Abu Dschihad die Schlüssel zurückzugeben.
Der Emir nahm aber nicht einfach nur die Schlüssel an sich, sondern bat mich, ihn zu den Schuppen zurückzubegleiten, damit er dort meine Arbeit begutachten könne. Er dachte wohl, dass ich vielleicht einen der Brüder bestohlen hatte. Er zählte alle Waffen und Kisten nach und sah, dass nichts fehlte. Dann dankte er mir für meine Arbeit.
Einige Wochen später kehrte der Filmemacher ins Lager zurück. Er war in Tschetschenien gewesen. Am Abend seiner Rückkehr zeigte er uns einige Filme, die er während seines Aufenthalts dort gedreht hatte, einschließlich eines Werkes über Schamil Bassajew. Ich wusste alles über Bassajew – er war ein großer Held. Ich hatte während meines Aufenthalts in Khaldan, wo ich mir immer die Radionachrichten anhörte, alles über ihn erfahren.
Bassajew hatte im vergangenen Sommer mit einer kleinen Gruppe von Mudschahidin ein Krankenhaus in der südrussischen Stadt Budjonnowsk besetzt. Bassajew und seine Männer nahmen die 1200 Menschen, die sich in dem Gebäude befanden, allesamt als Geiseln. Die Russen versuchten zweimal, das Krankenhaus zu stürmen und die Geiseln zu befreien, aber Bassajew und seine Kämpfer schlugen sie zurück. Schließlich einigte sich Bassajew mit dem russischen Ministerpräsidenten auf ein Abkommen. Russland musste Bassajew als Gegenleistung für die Schonung der Geiseln freies Geleit zusichern. Außerdem sagten die Russen zu, ihre militärischen Operationen auf tschetschenischem Gebiet einzustellen.
In dem Film unseres Regisseurs protzte Bassajew mit der Vorführung eines neuen Maschinengewehrs. Es war mit einem Schalldämpfer versehen, und wenn er den Abzug betätigte, hörten wir nur ein leises Klicken im Lauf. Bassajew sprach mit Hilfe eines Dolmetschers zu uns und erklärte, diese Waffe sei das modernste russische Modell dieser Art. In einer Szene sah Bassajew direkt in die Kamera, winkte und schickte zugleich Grüße an all die Brüder, die sich in den Ausbildungslagern in Afghanistan aufhielten. Er musste gewusst haben, dass der Filmemacher nach Derunta zurückgehen würde, weil er uns eigens erwähnte.
Der Regisseur war auch am nächsten Tag noch da. Ich sah ihn bei der salat am Morgen, später dann auch zur Mittagszeit. Beim zweiten Mal sah ich aber, dass etwas nicht in Ordnung war. Der Mann schaute missmutig drein. All meine Sinne schalteten sofort auf die höchste Alarmstufe um.
Abu Dschihad erhob sich nach der salat und sprach mit ernster Stimme zu uns.
„Heute Morgen entdeckten wir, dass jemand die Kiste unseres Bruders im Lagerschuppen geöffnet hat“, hob er an und sah dabei zum Filmemacher hinüber. „Ihr könnt euch wohl vorstellen, dass wir deswegen sehr erregt sind.“
Ich schaute mit unbewegter Miene stur geradeaus, aber mein Herz raste vor
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