Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
beendet hatte. Jetzt verstand ich besser, warum Abu Bakr von dem Verhalten des Bruders, den er bei dem nächtlichen Überfall in Khaldan als Geisel genommen hatte, so angetan gewesen war. Dieser Mann hatte die Verhörsituation zum Vorteil seiner Brüder genutzt, indem er versuchte, den Feind so einzuschüchtern, dass dieser sich zurückzog.
Einige Jahre später, in einer Zeit, in der ich allmählich mehr erfuhr über Ibn al-Sheikh al-Libi und seine Funktion innerhalb dessen, was mittlerweile unter der Bezeichnung al-Qaida bekannt geworden ist, dachte ich erneut über diese Lektion nach. Ibn Sheikh leitete während der gesamten neunziger Jahre Ausbildungslager in Afghanistan und war ein enger Verbündeter Bin Ladens. Bei der amerikanischen Invasion in Afghanistan, die auf die Anschläge des 11. September 2001 folgte, wurde er in einer frühen Phase gefangen genommen, nach Ägypten ausgeflogen und von der CIA gefoltert. Er erzählte seinen Vernehmern, Saddam Hussein habe Informationen zur Herstellung chemischer Waffen an al-Qaida weitergegeben. George W. Bush und Colin Powell bezogen sich auf Ibn Sheikhs Informationen, als sie öffentlich von Beweisen für Verbindungen Saddam Husseins zu al-Qaida sprachen. Mit Ibn Sheikhs Informationen rechtfertigten sie die Invasion im Irak.
Später widerrief Ibn Sheikh dann die Geschichte über Saddam Hussein. Die CIA hatte seine Aussage allerdings schon lange vor Colin Powells berühmtem Auftritt vor den Vereinten Nationen für unzuverlässig erklärt. Als diese Tatsache bekannt wurde, spielte das allerdings keine Rolle mehr: Amerika befand sich bereits im Krieg.
Viele Leute sagen, Ibn Sheikh habe seine Häscher aus Verzweiflung belogen, weil er brutal gefoltert worden sei. Ich weiß, dass das nicht stimmt. Er leitete diese Lager, und alles, was wir dort lernten, hatte er schon lange vor uns gelernt. Er hatte sich auf die Verhörsituation vorbereitet, so wie sich auch der Bruder in der Moschee vorbereitete. Er wusste, was er zu tun hatte.
Ein wahrer Mudschahid fürchtet sich nicht vor Schmerz, und für jemanden, der so fanatisch ist wie Ibn Sheikh, gilt dies ganz gewiss. Schmerz ist nichtig – man kann sich darin üben, ihn zu ignorieren. Und ein wahrer Mudschahid fürchtet auch den Tod nicht. Für Gott zu sterben ist der Sinn des Lebens.
Nein, Ibn Sheikh zerbrach nicht unter dem Druck der Folter. Seine Vernehmer behandelte er mit dem gleichen großen Geschick, das er auch im Umgang mit der Waffe bewies. Er wusste, was seine Vernehmer hören wollten, und gab es ihnen mit Freuden. Saddams Sturz wünschte er sich noch mehr als die Amerikaner. Schon in Khaldan hatte er uns gesagt, der nächste große Dschihad werde im Irak geführt.
Irgendwo in einer geheimen Folterkammer hatte Ibn Sheikh seine Schlacht gewonnen.
PROPAGANDA
Ich langweilte mich so sehr, dass ich eines Tages beschloss, die Vorratsschuppen in der Nähe des Lagereingangs aufzuräumen. Abu Dschihad und ich hatten sie aufgesucht, um nach bestimmten Munitionssorten zu suchen, und dabei hatte ich gesehen, welche Unordnung dort herrschte. Ich fragte Abu Dschihad, ob ich aufräumen dürfe. Er schien von diesem Ansinnen überrascht zu sein, antwortete aber, das könne ich gerne tun.
Am nächsten Tag gab er mir die Schlüssel zu den Schuppen, und ich begann, mir einen Überblick zu verschaffen. Den größten Teil des Lagerbestands bildeten zahlreiche Waffen, die, nach Eigentümern geordnet, in verschiedenen Behältern gelagert waren. In Khaldan gehörten alle Waffen dem Lager, aber in Derunta waren sie persönliches Eigentum der Mudschahidin. Wir alle durften sie zwar benutzen, aber die Eigentumsverhältnisse waren klar. An der Front konnten die Mudschahidin alles, was sie vom Feind erbeuteten, für sich selbst beanspruchen.
Im Schuppen lagerten auch verschiedene Holzkisten. Eine dieser Kisten fiel mir besonders auf. Sie gehörte einem arabischen Filmemacher, der vor einigen Wochen nach Derunta gekommen war. Er hatte nur eine Nacht im Lager verbracht, aber an jenem Abend hatten wir alle in der Moschee beisammengesessen, und er hatte uns einige der Filme aus seiner bisherigen Produktion gezeigt. Ich war überrascht, weil ich so viele dieser Filme bereits in Europa gesehen hatte – Filme über Afghanistan, Bosnien und Tschetschenien.
Später am Abend hatte mir dann einer der Hizb-i-Islami -Kämpfer erklärt, dass der Filmemacher ein berühmter Mann sei. Er hatte Hunderte von Propagandafilmen gedreht. Sie wurden in
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