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Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story

Titel: Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Omar Nasiri
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wurden sie entlassen?

LONDON
    Am nächsten Tag verließ ich zusammen mit Gilles Paris. Dabei taten wir so, als kennten wir uns nicht. Wir nahmen den Bus nach Calais und gingen dort durch die Zollkontrolle. Zum ersten Mal reiste ich mit einem europäischen Pass und geriet dabei ins Staunen. Der Beamte ließ mich einfach durch und warf nur einen flüchtigen Blick auf meinen Ausweis. Ich dachte an all die demütigenden Befragungen, die ich mit meinem marokkanischen Pass hatte erdulden müssen. Wie lange bleiben Sie im Land? Wo? Kann ich Ihre Rückfahrkarte sehen? Ihr Bargeld? Es sah so aus, als wäre ich ein völlig anderer Mensch geworden, nur weil ich mit einem europäischen Pass reiste.
    Wir fuhren mit dem Eurostar nach Dover und stiegen anschließend in einen Bus nach London. Gilles saß die ganze Zeit neben mir. Beim Aussteigen an der Victoria Station gab er mir die Buchungsbestätigung für ein Hotelzimmer in West Kensington. Er sagte, dort würde ich zunächst eine Zeitlang wohnen. Ich solle ihn am nächsten Morgen anrufen, dann würden wir unser nächstes Treffen vereinbaren. Anschließend verschwand er in der Menge.
    Ich begriff, dass Gilles die ganze Reise von Paris hierher mitgemacht hatte, um sicherzugehen, dass ich nicht verschwand. Ich war schließlich ein ausgebildeter Terrorist, und er musste mich im Auge behalten. Jetzt, wo ich in London war, würden mit Sicherheit eine Menge aufmerksamer Augenpaare britischer Geheimdienstler jeden meiner Schritte überwachen.
     
    Ich ging ins Hotel, und die Rezeptionistin führte mich zu meinem Zimmer. Ich legte meine Sachen aufs Bett und ging wieder raus, um die Stadt zu erkunden.
    London war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Es war wesentlich sauberer als Paris und überhaupt nicht schmutzig, wie ich eigentlich erwartet hatte. In einem Doppeldeckerbus ging ich auf Besichtigungstour und verliebte mich auf den ersten Blick in die viktorianische Architektur. In diesem Teil der Stadt standen keine Wolkenkratzer, die Proportionen der Gebäude waren durchgehend aufeinander abgestimmt.
    Am meisten staunte ich allerdings über die Polizei. Als ich aus dem Bus stieg, hatte ich die Orientierung verloren. Ich studierte intensiv meinen Stadtplan, und als ich einmal aufblickte, sah ich einen Polizisten auf mich zukommen. Ich verkrampfte instinktiv. Aber dann fragte dieser Polizist nur, ob er mir den Weg zeigen könne. Nach all den Jahren auf der Flucht vor der Polizei in Marokko, vor kurzem auch noch in Pakistan, verblüffte mich diese Freundlichkeit.
     
    Gilles und ich trafen uns am folgenden Tag in einem sehr eleganten Hotel in der Nähe des Green Park. Er begrüßte mich am Rezeptionstresen. Die britischen Dienste hatten mich seit meiner Ankunft in London beschattet – dessen war ich mir sicher -, deshalb hatte es auch wenig Sinn, hier unser übliches Katz-und-Maus-Spiel aufzuführen.
    Gilles führte mich in einen Konferenzraum. Er sagte, ich solle jetzt noch keine Moscheen besuchen und auch nicht versuchen, Kontakte zu knüpfen. In den nächsten beiden Wochen sollte ich mich erst einmal mit der Stadt vertraut machen. Auch nach einer Wohnung sollte ich mich umsehen. Ich fragte, wie ich das anfangen solle, und er meinte, das müsse ich alleine hinbekommen – so wie jeder andere Einwanderer auch. Er erklärte, es sei jetzt wichtig für mich, eine Tarnexistenz aufzubauen. Ich sollte in einer Woche wieder anrufen und mich anschließend mit ihm treffen.
    Bei diesem Treffen bat ich Gilles nur um eine Sache: Hörkassetten mit Korantexten. Ich spürte bereits, wie mir dessen Sprache und ihre Rhythmen entglitten. Ich besuchte die Moschee nicht mehr und hatte auch keinen Gesprächspartner mehr, dem die Sprache des Korans so vertraut war wie den Brüdern in den Lagern. Ich wusste aber, dass ich über eine gewisse Zungenfertigkeit verfügen musste, wenn ich die muslimischen Brüder in London davon überzeugen wollte, dass ich „echt“war.
     
    Ich nahm Gilles beim Wort. In den folgenden beiden Wochen erkundete ich London. Tagsüber ging ich zu Fuß durch die Innenstadt oder besuchte die Museen, und abends ging ich in die Pubs oder die Kinos in der Umgebung des Leicester Square. Ich liebte die Energie Londons, die hellen Lichter und den Anblick so vieler verschiedener Hautfarben.
    Nach einer Woche rief ich Gilles an, und bei seinem Rückruf instruierte er mich: Ich sollte am nächsten Tag zum Bahnhof gehen und dort einen Zug zum Flughafen Stansted nehmen. Er nannte mir

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