Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
musste es unbedingt hinter mir lassen. Ich erfuhr, dass ich mit einer schriftlichen Erlaubnis das Lager für einige Stunden verlassen und mich in der Stadt umsehen konnte. Aber nie wollte mich jemand begleiten. Nach ein paar Tagen fragte ich einen Afghanen, warum alle im Lager blieben. Er sagte mir, die Menschen hätten Angst. In der ganzen Stadt gebe es Skinheads, die es auf Flüchtlinge abgesehen hätten. Sie würden sie erbarmungslos verprügeln und hätten auch schon mehrere Morde begangen.
An jedem beliebigen Tag beten Tausende von Menschen aus aller Welt aufs Neue um die Chance, in einem Land wie diesem zu leben.
In Eisenhüttenstadt begegnete ich zum ersten Mal Klaus. Es war eine vollständige Katastrophe. Ein Wachmann kam in meinen Schlafsaal und begleitete mich zu einem Büro, in dem Klaus auf mich wartete.
„Guten Tag. Mein Name ist Klaus. Wissen Sie, wer ich bin?“
Ich verstand Deutsch – Fatima hatte mir einiges beigebracht -, aber ich ärgerte mich dennoch. Ich dachte an all die Flüchtlinge in dem Lager und stellte mir vor, was sie wohl empfinden mochten, wenn sie von diesen arroganten Europäern in einer Sprache angeredet wurden, die sie nicht verstanden.
„I’m sorry“, antwortete ich. „Could you repeat that in English? “
„I’m Klaus“, sagte er ungeduldig. „Do you know who I am?“
Klaus war offensichtlich in jeder Sprache ein Arschloch.
„Ja, ich weiß, wer Sie sind. Sie arbeiten für den deutschen Geheimdienst. “
„Das stimmt“, sagt er. Seine selbstgefällige Mimik gefiel mir nicht. „Sie werden mir jetzt einige Fragen beantworten.“
Ich hatte genug. Fast eine Woche lang hatte ich in dieser Hölle ausgeharrt. Ich hatte keine Geduld mehr für diesen grässlichen, herablassenden Deutschen.
„Hier beantworte ich überhaupt keine Fragen. Wenn Sie mich etwas fragen wollen, dann können wir das in Westdeutschland erledigen.“Ich wollte ihm keine Macht über mich einräumen, und solange wir hier in diesem Lager saßen, hatte er sie. Eine unterschwellige Drohung lag hier in der Luft: Wenn ich seine Anweisungen nicht befolgte, konnte er mich hier schmoren lassen. Aber ich wusste etwas Besseres. Ich stand auf.
„Was tun Sie da?“, fragte er.
„Ich gehe.“
„Ohne Papiere können Sie nicht gehen.“
„Ich brauche keine Papiere. Ich kann gehen, wohin ich will.“Dann schrieb ich die Nummer meines Mobiltelefons auf und gab sie Klaus. „Rufen Sie mich in ein paar Tagen an. Wir finden einen anderen Ort, an dem wir uns unterhalten können.“
Ich verließ das Lager und nahm ein Taxi zum Bahnhof. Dort kaufte ich mir eine Fahrkarte nach Köln, wo Fatima lebte. Kaum saß ich im Zug, klingelte mein Telefon.
„Sie müssen sofort zurückkommen.“Es war Klaus. „Sie brauchen diese Papiere.“Er sagte, ich müsse, wie alle anderen Flüchtlinge auch, diese ganze Prozedur durchlaufen, wenn ich mir eine Tarnexistenz aufbauen wolle.
Ich würde keinerlei bürokratische Prozeduren mehr durchlaufen. Ich erinnerte mich an Gilles’ Worte bei unserem allerersten Treffen: „Wenn Sie all das haben wollen, müssen Sie noch mehr für uns tun.“
Ich hatte mehr getan – mehr, als alle erwartet hatten. Ich hatte sechs Jahre lang für diese Leute gearbeitet. Immer wieder hatte ich mein Leben riskiert. Ich war bis ins Herz dieser weltweiten Bedrohung vorgedrungen, die man inzwischen unter dem Namen al-Qaida kannte. Was gab es für mich noch zu tun?
„Nein“, antwortete ich Klaus. „Nein. Das werde ich nicht tun. Sie sind für die Beschaffung meiner Papiere verantwortlich. Sie regeln das.“Dann unterbrach ich die Verbindung.
Ich traf Klaus erst zwei Wochen später in einem Flughafenhotel in Hannover wieder. Dort erschien er mit einem weiteren Mann, der sich als Matthias vorstellte. Schon als ich eintraf, herrschte eine gespannte Atmosphäre im Raum, und als Klaus und Matthias dann das Gespräch eröffneten, wurde schnell deutlich, dass die beiden einander nicht ausstehen konnten. Matthias war mir sofort sympathisch, weil er Klaus nicht mochte.
Bei dieser Besprechung – wie auch bei mehreren weiteren Treffen, die noch folgen sollten – wurde vollkommen deutlich, dass die Deutschen keinerlei Pläne für meine Zukunft hatten. Ohne Papiere hatte ich aber auch keine Chance auf eine feste Arbeit. Klaus und Matthias gaben wiederholt Versprechungen ab, erfüllten sie aber nie. Ich konnte deshalb auch nicht heiraten, was für mich noch frustrierender war. Vor unserer Hochzeit
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