Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
ungewöhnliche Kindheit und Jugend zu einem guten Spion machen würden, und jetzt gelangten auch die Anführer im Lager zu der Überzeugung, er könnte nützlich sein. Diese Einschätzung beruhte zum Teil darauf, dass er sich in westlichen Ländern unauffälliger bewegen konnte, teilweise aber auch auf seinem unabhängigen Denken, das ihn von den meisten anderen im Lager unterschied. Schließlich war er einer der wenigen, die für einen Aufenthalt im noch anspruchsvolleren Lager Derunta ausgewählt wurden.
Der Schwerpunkt in Khaldan lag auf der Kampfausbildung, die häufig in Gruppen absolviert wurde, während man in Derunta denjenigen, die die Eingangsphase mit Erfolg überstanden hatten, ein stärker auf die Einzelpersonen zugeschnittenes Programm mit Sprengstoffen und der Planung von Terrorakten anbot. In Khaldan lernten die Rekruten, wie man Sprengstoffe hochgehen ließ; in Derunta unterwies man sie in der Herstellung von Sprengstoffen und Zündern. Wer in Derunta ausgebildet wurde, gehörte eher selten einer Gruppe an, die für den militärischen Kampf in der Heimat vorbereitet wurde. Es handelte sich hier eher um Einzelpersonen, die sich auf das Leben als klassische terroristische „Schläfer“einstellten, für das ganz andere Fähigkeiten gebraucht wurden.
Derunta entstand auf dem Gelände eines ehemaligen sowjetischen Militärstützpunkts westlich von Jalalabad. Der Komplex umfasste eine Reihe von Gebäuden und Lagern, die von mehreren militanten Gruppen genutzt wurden. Unter den Rekruten, die in Derunta eine Ausbildung durchliefen, bevor die Anlage im Oktober 2001 durch US-Luftangriffe zerstört wurde, war auch Ahmed Ressam, der wegen seiner Beteiligung an der Planung eines für den Jahrtausendwechsel vorgesehenen Bombenattentats auf den Flughafen von Los Angeles verurteilt wurde.
In Derunta experimentierte al-Qaida mit Chemiewaffen. Dies geschah unter der Leitung von Abu Khabab al-Masri, dem Nasiri, wie er sagt, ebenfalls begegnet ist. Die US-Geheimdienste erfuhren etwa in den Jahren 1998/1999 von al-Masris dilettantischen Versuchen mit chemischen Waffen. Nach dem Sturz der Taliban im Herbst 2001 wurden diese Erkenntnisse bestätigt, als Reporter ein Labor entdeckten, in dem man chemische Verbindungen und Dokumente mit Hinweisen zur Herstellung des Nervengases Sarin fand. Vor dem Labor stieß man auf die an Eisenstäben angeketteten Kadaver von Versuchstieren, die für diese Experimente benutzt worden waren. Nasiris Bericht verweist auf Experimente mit Chemiewaffen, die in die Mitte der neunziger Jahre fielen, also in einem früheren Zeitraum stattfanden, als bereits vorliegende Schilderungen nahelegten.
Wie viel wussten die Vereinigten Staaten über die Lager und die Ausbildung, die dort betrieben wurde? Die Entscheidungsträger der amerikanischen Politik hatten sich nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1989 von Afghanistan abgewandt, aber die amerikanischen Geheimdienst- und Terrorbekämpfungsexperten wurden sich der Rolle der Lager und der Gefahr, die von ihnen ausging, zunehmend bewusst. Die Ermittler, die das Attentat auf das World Trade Center von 1993 und andere terroristische Vorkommnisse untersuchten, stießen stets auf einen roten Faden, der mit all diesen frühen Operationen zu tun hatte: Afghanistan.
Ramzi Yousef, der den Anschlag von 1993 plante, wurde in Khaldan ausgebildet und traf seinen Mitverschwörer dort. Ein bis heute als Verschlusssache eingestufter, bereits 1995 erarbeiteter National Intelligence Estimate mit dem Titel „The Foreign Terrorist Threat to the United States“hält fest, dass die größte Bedrohung für die USA aus dem Ausland von radikalen Islamisten ausgeht, die Verbindungen nach Afghanistan haben.
Die geheimdienstlichen Informationen blieben jedoch fragmentarisch und erfassten nur Teilbereiche. Aus den Lagern in der Nähe der pakistanischen Grenze lagen einige Informationen durch Agentenberichte vor, aber andere Lager, zum Beispiel Derunta, waren sehr viel schwerer zu infiltrieren. Die Vereinigten Staaten verließen sich hier im Wesentlichen auf Satellitenbilder, bis die CIA 1996 Alec Station bildete, eine Einheit, deren Auftrag die Verfolgung der Aktivitäten Bin Ladens war. Einige Schätzungen gehen davon aus, dass von 1996 bis zum 11. September 2001 zehn- bis zwanzigtausend Personen die Ausbildung in den Lagern absolvierten. Anderen Annahmen zufolge könnte diese Zahl noch viel höher liegen und sogar bis zu hunderttausend betragen. Niemand
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