Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest
fordert uns auf, unsere Hefte herauszunehmen. Die Idee, Lena meine Partyjeans zum Waschen mitzugeben, ist mir gestern Abend gekommen. Denn wie könnte ich sicher sein, dass meine Mutter die Hose nicht direkt aus dem Wäschekorb in ein vorbeifahrendes Müllauto werfen würde, sollte sie ihr noch einmal zwischen die Finger geraten? Nach der Müllsack-Aktion ist ihr alles zuzutrauen! Den Schuhkarton mit meinen Tagebüchern habe ich jedenfalls ganz oben auf meinen Kleiderschrank geschoben und mit ausrangierten Stofftieren getarnt. Fürs Erste muss das als Versteck reichen. Meine Mutter ist nicht besonders groß. Ohne Leiter kommt sie da niemals ran. Hoffe ich jedenfalls.
In der Pause wandern wir über den Schulhof und treffen die anderen. Phillip hat mir eine SMS geschickt. Er steckt in einer SV -Sitzung und langweilt sich anscheinend.
Vermiss Dich auch! , simse ich zurück und schalte mein Handy wieder aus. Zwar sind Handys an unserer Schule außerhalb des Unterrichts nicht offiziell verboten, aber es gibt trotzdem Lehrer, die sie gerne einsammeln und bis Schulschluss behalten. Muss ja nicht sein.
Anna stupst mich an.
„Wie geht’s denn so?“, fragt sie leise.
„Super. Und dir?“
Sie druckst ein bisschen rum. Erst jetzt fällt mir auf, dass Lukas einen halben Meter neben ihr steht und sie nicht wie sonst umschlingt. Nanu? Was ist denn da los?
„Wollen wir uns vielleicht mal wieder treffen?“ Anna rückt ein bisschen näher an mich heran.
„Äh, klar. Warum nicht? Ich will heute in die Stadt, ein paar Klamotten für Phillips Party kaufen. Komm doch mit!“
Eigentlich hatte ich vor, Lena zu fragen, ob sie mitkommt und meine Einkaufsberaterin spielt. Aber mal wieder mit Anna durch die Läden zu ziehen, fände ich wirklich schön.
Sie nickt. Wir verabreden uns nach der Siebten am Ausgang.
Plötzlich lacht Lena laut auf. Sie steht links neben mir und funkelt Lukas an. „Mein Vater war ein Tropfen und meine Mutter ein Reagenzglas“, höre ich sie sagen. „Ich bin das Ergebnis eines biologischen Experiments. So what? Im Gegensatz zu dir kann ich echt gut damit umgehen, dass ich zwei Mütter habe, du blöder Schwachmat!“
Och nee, anscheinend geht es mal wieder um Lukas’ Lieblingsthema: die ungewöhnlichen Umstände, die zu Lenas Geburt geführt haben (künstliche Befruchtung), und die Tatsache, dass ihre Familie aus zwei miteinander verheirateten Frauen besteht. Hört das denn nie auf? Ich werfe Lukas einen finsteren Blick zu. Er grinst wie ein dämliches Erdferkel.
„Und dein Vater war echt nur der Samenspender?“, gackert er. „Ist ja abgefahren! Und wie haben die das gemacht? So richtig mit Sex oder wie?“
Lena schüttelt angewidert den Kopf. Ich bewundere sie, dass sie so ruhig bleibt.
„Lukas, deine Festplatte hängt! Denk dir mal was Neues aus!“, stöhnt Paul genervt. „Das wird auf Dauer echt langweilig. Wenn du immer noch nicht kapiert hast, wie’s geht, frag deine Mami. Die erklärt dir das bestimmt gerne noch mal mit den Bienen und den Blumen und dem Klapperstorch.“
Alle lachen – bis auf Lukas, der ein Gesicht macht, als hätte er auf eine Kaffeebohne gebissen.
Lena stellt sich auf die Zehenspitzen und gibt Paul ein Küsschen. Er wird tatsächlich rot.
Anna ist superpünktlich. Wir lassen unsere Räder stehen und gehen zu Fuß zum ZOB . Zwanzig Minuten später sitzen wir im Bus nach Burgstadt, der um diese Uhrzeit (offenbar haben sämtliche Schulen heute nach der Siebten Schluss) zwar proppenvoll ist, aber die einzig akzeptable Verbindung zur großen, weiten Shoppingwelt darstellt. Neustadt ist in dieser Beziehung komplettes Entwicklungsgebiet. Einmal die Fußgängerzone rauf und runter, das war’s. Die Kreisstadt hat da schon deutlich mehr zu bieten. Vor allem die gut bestückte Filiale eines Internetshops, in dem ich gestern die coolen Klamotten entdeckt habe. Allein dafür nehme ich den Stallgeruch zusammengepferchter, schwitzender Schulkinder und die Schaukelei über die Landstraßen gerne in Kauf.
Anna und ich quetschen uns mehr übereinander als nebeneinander auf einen Sitz, kichern und japsen nach Luft. Es ist fast wie früher. Ich hab ein wohliges Gefühl im Bauch und muss grinsen. Ob das vielleicht am akuten Sauerstoffmangel liegt? Nee, das hängt mit meiner ehemaligen besten Freundin zusammen. Ganz klar.
In Burgstadt fallen wir fast aus dem Bus und halten uns lachend aneinander fest. Annas Brillengläser sind beschlagen. Während wir überlegen, in welche
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