Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest
Mutter Recht. Ich weiß zwar nicht, wie viel Kohle in dem Sparschwein ist, aber mittellos bin ich nicht gerade. Vielleicht könnte ich mir sogar das komplette Partyoutfit leisten.
„Aber das Geld ist für London und nicht für irgendwelche Klamotten!“, säuselt eine Stimme in mein linkes Ohr. Sie klingt sehr sanft und vernünftig und stammt garantiert von einem Cherub, einem Engel mit besonderen Aufgaben.
Ich nicke zustimmend.
„Geld ist Geld!“, motzt eine leicht diabolische Stimme von rechts in mein anderes Ohr. „Kauf dir die Klamotten und heul nicht rum!“
„Ich heul überhaupt nicht!“, protestiere ich.
Meat Loafs Grinsen wird breiter, je länger ich ihn betrachte. Ich wüsste zu gern, wie viel Geld in seinem Bauch steckt. Ob es wirklich für das stylishe Outfit reichen würde? Ich halte mir kurz die Ohren zu, damit ich die mäkeligen Stimmen nicht mehr höre, während ich überlege.
Ehe ich bis zwei zählen kann, habe ich das Schwein gepackt und schüttele es. Ich muss ja nicht alles nehmen. Nur so viel, dass es für meinen Partydress reicht. Den Rest lass ich drin und füttere Meat Loaf ab sofort mit meinem Taschengeld. Großes Indianerinnenehrenwort!
„Ich genehmige mir nur einen kleinen Vorschuss“, beruhige ich die himmlische Stimme der Vernunft in meinem linken Ohr, bevor sie mir Vorwürfe machen kann.
Eine halbe Stunde später hab ich genug Geld aus Meat Loaf herausgeschüttelt, um mich von Kopf bis Fuß neu einzukleiden. Das heißt, die teure Jeans kann ich mir eigentlich sparen. Zuerst will ich mal versuchen, die alte ein bisschen aufzupimpen. Wozu sonst das ganze Theater mit dem Müllsack?
Mit einem abgebrochenen Lineal fische ich noch einen letzten Schein aus dem Schlitz. Jetzt reicht es sogar noch für Unterwäsche. Und nein, ich habe kein schlechtes Gewissen. Echt nicht. Außergewöhnliche Situationen erfordern manchmal außergewöhnliche Maßnahmen. Morgen geh ich shoppen, und wenn die Welt untergeht! Das Teufelchen in meinem rechten Ohr kichert zufrieden. Genau wie ich.
Lukis Wette, Annas Kummer und mein überirdischer Kaufrausch.
Am nächsten Morgen beim Frühstück tut meine Mutter so, als wäre nichts gewesen. Dabei weiß ich genau, dass sie mit meinem Vater über den Vorfall gesprochen hat. Garantiert! Aber da sie unseren Streit anscheinend als erledigt betrachtet, beschließe ich, ihrem Beispiel zu folgen, und mache auf braves Töchterlein. Eine meiner leichtesten Übungen, kein Problem. Manchmal ist es einfach notwendig, sich der häuslichen Umgebung anzupassen, um überflüssigen Stress zu vermeiden.
„Ich fahr nach der Schule in die Stadt“, säusele ich zwischen Honigbrot und Vitaminsaft. „Kann später werden.“
Meine Eltern nicken im Takt.
„Ist gut“, sagt meine Mutter. „Brauchst du was Bestimmtes?“
Wenn sie mich gestern gefragt hätte, hätte ich selbstverständlich mit Ja geantwortet und ihr meine umfangreiche Klamottenwunschliste präsentiert, aber heute liegen die Dinge anders.
Selbst ist die Frau!, denke ich und schüttele hoheitsvoll den Kopf.
„Nö. Nur mal gucken und ein bisschen bummeln.“
Jakob schnitzt aus seinem Nutellatoast etwas, das Ähnlichkeit mit einer Pistole hat, bevor er es verputzt. Nicht auszudenken, was ein Psychologe da alles hineininterpretieren würde! Ich grinse meinen kleinen Bruder an. Er grinst zurück.
In der Schule ist mal wieder die Hölle los. Wie jeden Morgen strömen mir mehr oder weniger lernwillige Leidensgenossen aus sämtlichen Himmelsrichtungen entgegen und blockieren Zufahrten, den Schulhof und die Eingangstür. Ich bin spät dran und erwische gerade noch einen freien Platz für mein Rad, bevor ich mir eine Schneise durch die träge Schülermasse bahne. Mit dem letzten Gong schlüpfe ich in die Klasse und lasse mich auf meinen Stuhl fallen.
„So schlimm?“ Lena hebt eine Augenbraue. Der kleine Ring darin blitzt auf.
„Schlimmer“, ächze ich und ziehe eine zerknitterte Plastiktüte aus meinem Rucksack. Meine gerettete Jeans steckt in der Tüte. „Tust du mir einen Riesengefallen?“
Lena nickt. „Logo.“
„Kannst du meine Jeans für mich waschen?“
„Ist eure Waschmaschine kaputt?“
„Nee, aber meine Mutter hat was gegen diese spezielle Klamotte.“ Mit einem Grinsen schiebe ich die Tüte unter Lenas Tisch.
„Ah, ich kapiere“, wispert Lena. „Die Sache ist geheim!“
„Geheimer als geheim“, hauche ich zurück.
Leider unterbricht das Doreensche unseren kleinen Dialog und
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