Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest
„Stell schon mal die Kekse raus.“
*
Um fünf vor drei stehe ich vor Lenas Haustür, drücke auf die Klingel und – nichts passiert. Normalerweise dauert es nicht lange, bis der Summer schnarrt und ich die Tür aufdrücken kann. Ich klingle noch einmal. Wieder nichts. Vielleicht ist die Klingel kaputt? Oder der Türöffner? Ich rüttle an der Klinke. Keine Chance, die Haustür bleibt verschlossen. So ein Mist. Soll ich woanders klingeln? Aber wieso macht Lena nicht auf? Ich trete einen Schritt zurück, lege den Kopf in den Nacken und rufe „Haalloo!“ nach oben. Leider sind alle Fenster zu, und mein Rufen verhallt ungehört irgendwo zwischen dem ersten und dem vierten Stock. Langsam komme ich mir wie bestellt und nicht abgeholt vor. Ziemlich blöd also. Umständlich schüttele ich meinen Rucksack von den Schultern und wühle nach meinem Handy, um Lena anzurufen, wo sie bleibt, als hinter mir ein Lieferwagen hält. Ich schaue nur kurz auf – Lieferwagen interessieren mich nicht so besonders – , wühle weiter und spüre plötzlich, wie sich eine fremde Hand auf meinen Rücken legt.
„Kennen wir uns nicht?“
Erschrocken tauche ich aus meinem Rucksack auf. Ein eisblaues Augenpaar mustert mich leicht spöttisch.
„Was? Wie bitte? Ach herrje!“, stoße ich zusammenhanglos hervor. Krischan, der Biobauer, steht vor mir. In seiner ganzen blonden Pracht und mit einer gut bestückten Gemüsekiste unter dem Arm. Heute gibt’s grüne Äpfel, stelle ich mit schnellem Blick fest. Außerdem Radieschen, Salat, Tomaten, Zucchini, Zwiebeln, an denen noch tiefdunkle Erde klebt, und ein knubbeliges lila Gemüse, das ich nicht kenne. Pastinake? Ingwer? Chinesische Artischocke? Irgendetwas Außerirdisches vielleicht? Ein verunglücktes Genexperiment auf der elterlichen Scholle?
„So ein Zufall!“, grinst der fröhliche Landwirt.
„Haha, ja, das kann man wohl sagen!“ Werde ich etwa rot? Wenn ja, wieso?
„Ist keiner da?“ Er rüttelt mit einer Hand an der Tür, mit der anderen hält er die Kiste fest.
„Nö. Ich hab schon geklingelt. Macht keiner auf.“
„Nanu? Lass mich mal! Das haben wir gleich.“ Krischan presst seinen Daumen auf den Klingelknopf. Zweimal kurz, einmal lang.
Ich will gerade zu einem triumphierenden „Siehste!“ ansetzen, als unvermittelt der Schnarrer ertönt und die Tür aufspringt.
„Bitte schön!“ Der Biokistenträger lässt mir galant den Vortritt.
Schnell raffe ich meinen Rucksack zusammen und stolpere vor ihm ins Haus und die Treppe hinauf.
Lena steht in der geöffneten Wohnungstür, mit nichts bekleidet als mit einem winzigen, himmelblauen Handtuch, und tropft vom Kopf bis zu den neongrün lackierten Fußnägeln. Auf der Smiley-Fußmatte unter ihren Füßen bildet sich eine kleine Pfütze.
„Hi!“, ruft sie mir fröhlich entgegen. „Hast du gerade geklingelt?“
„Äh, ja. Zuerst ich und dann – “, ich zeige mit dem Daumen über meine linke Schulter, „der nette junge Mann vom Ökohof.“
„Oh, cool!“ Lena quietscht vor Begeisterung. Doch anstatt sich umzudrehen, in ihrer Wohnung zu verschwinden und sich schnell etwas Trockenes und vor allem Größeres überzuwerfen – wie ich und jedes andere halbwegs normale Mädchen es in ihrer Situation tun würden – , bleibt sie einfach auf der Fußmatte stehen und tropft unbekümmert weiter vor sich hin.
Krischans Huskyaugen sprühen Freudenfunken, als er sieht, was ich sehe, aber zum Glück hat er sich und seine Gemüsekiste fest im Griff und lässt sich sonst nichts anmerken.
„Sorry“, lächelt Lena und sieht dabei ziemlich hübsch aus. „Ich war gerade in der Badewanne.“
„Macht doch nichts“, säuselt Krischan. Ihm ist anzusehen, dass er zu gerne dabei gewesen wäre, als Tüpfelchen auf Lenas Badeschaum sozusagen.
Ich muss mich beherrschen, um nicht laut loszuprusten. Was läuft hier eigentlich für ein Programm? Bauer sucht Frau vielleicht?
„Äh, wollen wir vielleicht mal reingehen?“ Ich mische mich nur ungern ein; schließlich will ich die offenbar schwer voneinander Faszinierten nicht stören, aber ewig im Treppenhaus herumstehen möchte ich auch nicht. „Sonst wird das Gemüse noch welk.“ Ich deute auf das fremdartige Knubbelgewächs in Krischans Kiste.
„Ja, klar! Kommt rein!“, sagt Lena.
Ich frage mich, ob sie den Rest des Nachmittags mit nichts als einem Handtuch bekleidet verbringen will.
Nein, will sie nicht.
„Ich zieh mir nur schnell was über“, trällert sie. „Geht
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