Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest
schmiedeeisernen Geländer der schmalen Holzbrücke und schaut auf das Wasser, als würde er darin nach Antworten auf viel zu viele Fragen suchen.
Er sieht verloren aus, denke ich, als ich ihn sehe. Verloren und traurig. Der Anblick tut mir weh.
Er schaut auf, als er mich kommen sieht, und ein kleines, unsicheres Lächeln spielt um seinen Mund. Ich kann nicht anders und lächle zurück. Dann stehe ich vor ihm.
Er ist mir nicht entgegengelaufen, er gibt mir keinen Begrüßungskuss und er nimmt mich auch nicht in den Arm. Wir stehen einfach nur voreinander und gucken uns an. Natürlich fange ich sofort an zu heulen. Mist.
Zögernd macht Phillip einen Schritt auf mich zu und nimmt mich endlich in die Arme. Ich schmiege mich in die Umarmung hinein, schließe die Augen und heule weiter.
„Ich hab dich vermisst“, flüstert er in meine Haare und streichelt mir sanft über den Kopf.
„Ich dich auch“, schniefe ich. „Und wie!“
Minutenlang bleiben wir so stehen. Spaziergänger gehen vorbei, Radfahrer schieben ihre Räder über die Brücke, Kinder trappeln über das Holz, ein Hund schnuppert an unseren Beinen und kläfft. Es interessiert uns nicht. Wir sind in unserem eigenen Universum. Da kommt keiner rein.
Nach einer halben Ewigkeit hebe ich meinen Kopf. „Ich hab dich total nass gerotzt“, sage ich kleinlaut und zeige auf den dunklen Fleck, den meine Tränen auf seinem T-Shirt hinterlassen haben.
Er umfasst mein Gesicht mit beiden Händen, lächelt und sagt „Scheiß drauf!“, dann gibt er mir einen langen, langen Kuss.
Ich glaube, wir legen all unsere Gefühle in diesen einen Kuss. Alles, was wir füreinander empfinden, all unsere Zärtlichkeit und unseren Schmerz. Es ist ein unbeschreiblicher Kuss. Ein Kuss, der total süß und bitter zugleich ist. Das hört sich bestimmt doof an, aber es ist so. Ich kann es nicht besser beschreiben.
Als wir uns voneinander lösen, sehe ich, dass in Phillips Augen Tränen schimmern, und das haut mich echt um. Ich habe noch nie einen Jungen weinen sehen. Außer meinen kleinen Bruder natürlich. Aber es ist ein himmelweiter Unterschied, ob euer kleiner Bruder plärrt, weil er beim Fußball verloren oder sich das Knie aufgeschlagen hat, oder ob euer Freund weint; der Typ, den ihr zufällig liebt. Das ist ein ziemlich heftiges Gefühl, glaubt mir, und im ersten Moment weiß ich überhaupt nicht, was ich sagen soll. Soll ich überhaupt etwas sagen? Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, streichele sein Gesicht und küsse die Tränen weg. Ganz vorsichtig und ohne Worte. Sie schmecken salzig. Aber so sind Tränen nun mal.
„Wollen wir ein bisschen laufen?“, fragt er.
Ich nicke.
Wir verschränken unsere Finger ineinander und gehen über die Brücke in den hinteren Teil des Parks, wo die Bäume älter und höher sind und nicht so viele Spaziergänger unseren Weg kreuzen. Wir wollen lieber für uns sein.
Eine Weile stapfen wir schweigend nebeneinanderher; jeder für sich in seine eigenen Gedanken versunken. Unsere Schultern berühren sich. Ab und zu drückt Phillip meine Hand.
„Es tut mir so leid“, sagt er schließlich. Er hebt sein Gesicht und starrt in die Baumkronen, die sich wie ein grünes Dach über uns spannen. „Ich hab ein paarmal versucht, es dir zu sagen, aber dann … dann hab ich mich nicht getraut. Ich war zu feige. Ich wollte dir nicht wehtun. Das ist das Letzte, was ich will, das musst du mir glauben. Ich kann verstehen, dass du sauer bist. Und ich könnte auch verstehen, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst.“ Er löst seine Hand aus meiner und wir bleiben stehen. Ich runzele die Stirn und schaue ihn an, ihn und seine unglaublich braunen Augen mit den goldenen Sprenkeln darin. Er holt tief Luft, bevor er mich fragt: „Kannst du mir vielleicht trotzdem verzeihen?“
Schwups, da ist er wieder, der blöde Kloß! Ich spüre ihn genau. Er sitzt irgendwo zwischen meinem Sprachzentrum und meinem Herzen, das wie verrückt klopft, und macht es mir unmöglich zu antworten. Stattdessen nicke ich.
„Ich war blöd. Feige und blöd!“ Phillip stöhnt auf. „Es tut mir so leid, verdammt!“
Ich verschränke meine Hände in seinem Nacken.
„Heißt das … heißt das, du verzeihst mir?“, lächelt er.
Wieder nicke ich und finde endlich meine Stimme wieder, irgendwo in der Nähe meines Herzens. „Ja“, sage ich und gebe ihm einen Kuss. „Obwohl es mir echt schwerfällt!“
„Das kann ich verstehen“, erwidert er zerknirscht.
Wir
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