Mein Leben im Schrebergarten
Deutschland steht Fleiß ganz oben in den Top Ten der Tugenden. Deswegen sind viele Deutsche dauerhaft schlecht gelaunt. Sie sagen, der frühe Vogel fängt den Wurm, und schimpfen ständig über die Menschen, die gerne länger schlafen. Die Chinesen meinen dazu: Nur der Vogel, der vorne fliegt, wird abgeschossen. Darüber sollen die deutschen Streber einmal nachdenken.
Diese und einige andere Gedanken (Mücken, Hitze, warmes Bier aus der Flasche) veranlassten mich, vorzeitig aus der Laube auszubrechen und zurück in die Wohnung zu ziehen.
Und hier die vorläufigen Ergebnisse meines Thoreau-Experiments im Vergleich:
H. D. Thoreau (zwei Jahre und zwei Monate im Wald):
W. Kaminer (ein Tag im Schrebergarten):
8 - Hummelrap
Die schlechte Nachricht zuerst: Es wird dieses Jahr keine Süßkirschen bei uns geben. Die Amselfraktion hat alle Kirschen nach und nach ausgelutscht, nicht nur bei uns, sondern fast überall in den Gärten. Selbst solch erfahrene Kollegen wie Günther Grass sind nicht ohne Ernteschäden davongekommen, obwohl er sich große Mühe gab, die Amseln zu bekämpfen. Mein Nachbar hatte ein spezielles Netz über seine Bäume ausgebreitet und eine improvisierte Vogelscheuche auf der Wiese aufgestellt, aber das hat alles nichts genützt. Schadenfroh und mitleidig tauschten wir uns über den Gartenzaun aus. Er möge Sauerkirschen sowieso lieber, meinte Günther und fuhr nach Hause. Ich blieb noch eine Weile, weil ich noch gießen musste. Da kam die Krönung des Abends: Mich besuchte eine Amsel-Prüfungskommission. Zwei große Vögel sprangen vom Baum zu Baum, um zu gucken, ob ihre Artgenossen auch wirklich alle Früchte aufgegessen hatten. Nichts durfte übrig bleiben, nichts sollte der Gärtner behalten können, so stand es wahrscheinlich im Bundesamselgesetzbuch, das alle diese Vögel auswendig zu lernen hatten.
Was sollte ich nur mit ihnen machen? Im menschlichen Bürgerlichen Gesetzbuch habe ich nichts gegen Amselfraß gefunden, abgesehen von Paragraph 960 zu herrenlosen Wildtieren, Fischen und Vögeln im Allgemeinen. Laut diesem Paragraphen gelten wilde Tiere, Fische und Vögel als herrenlos, solange sie sich in Freiheit befinden, während wilde Tiere in Gärten, Fische in künstlichen Teichen und Badewannen sowie Vögel, die auf privaten Bäumen sitzen, keinesfalls herrenlos sind. Die Amseln gehörten also eigentlich mir, sie sollten meinen Anweisungen folgen und sich gefälligst unterordnen. Leider konnten die dummen Vögel nicht lesen und wollten nichts von ihrem Herrn wissen. Es war aber auch zu dumm vom Bürgerlichen Gesetzbuch, an Lebewesen zu appellieren, die von Natur aus Analphabeten waren, wie Bienen zum Beispiel.
Was sollte dieser Haufen von Bienengesetzen, der das Bienenleben in Deutschland regeln sollte, obwohl jeder halbwegs vernünftige Gesetzgeber doch wissen müsste, dass Bienen nicht lesen können? Trotzdem war dem deutschen Bienenschwarm mindestens ein Dutzend Paragraphen gewidmet: »Zieht ein Bienenschwarm aus, so wird er herrenlos, wenn der Eigentümer ihn nicht unverzüglich verfolgt.« Wenn ein Bieneneigentümer aufgibt, ist er kein Eigentümer mehr, und die Bienen dürfen sich von oben herab über ihn lustig machen. Wenn er aber nicht aufgibt, darf er ungestraft fremde Wohnungen und fremde Grundstücke betreten. Wundern Sie sich also nicht, wenn ein Haufen Bienen durch Ihre Wohnung schwärmt und gleich darauf ein Irrer Ihre Tür mit einer Motorsäge zerschreddert. Das wird sicher der Imker sein, der sein Eigentum verfolgt.
Mein Lieblingsbienengesetz war der Paragraph 963 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Er hieß sehr deutsch »Wiedervereinigung von Bienenschwärmen«: »Vereinigen sich ausgezogene Bienenschwärme, so werden die Eigentümer zu Miteigentümern des Gesamtschwarms. Die Anteile sollen sie sich nach der Zahl der verfolgten Bienen sichern.«
Mit der Zeit wird jede Gesetzgebung unübersichtlich, weil so vieles und immer etwas anderes hier durch die Gegend schwärmt, und alles muss geregelt werden. Die Bienengesetze stammten noch aus der Zeit des Hungers. Damals lebten viele Menschen in Deutschland vom Honig, den sie wahrscheinlich ihrer Rhabarbersuppe beimischten. Viele hielten sich Bienen zu Hause und im Garten. Die Bienen sammelten Nektar, machten daraus Honig, und die Menschen stahlen ihn und aßen ihn auf, oder sie verkauften ihn auf dem Markt als ihren eigenen, so als wären sie selbst von Blume zu Blume geflogen. Die
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