Mein Leben im Schrebergarten
hoffnungslos verloren im Schrebergarten-Deutschland, bis mich eines Tages eine Streife der Schrebergartenpolizei unter einem Stachelbeerstrauch findet, alt und erschöpft. »Das ist doch der Kerl von der Parzelle 118«, würden sie sagen. »Der Arme hat es die letzten zweihundert Meter bis zum eigenen Gartentor nicht mehr geschafft!«
Als ich schon die Hoffnung aufgegeben hatte, meine Heimatparzelle jemals wiederzufinden, stolperte ich plötzlich beinahe über einen Vogel, der mitten auf der Straße saß. Es war Don Juan, der Kanarienvogel von Frau Krause, bei seinem nächtlichen Spaziergang. Der Straßenbahngarten musste also ganz in der Nähe sein. Der Kanarienvogel rettete mich, er führte mich Schritt für Schritt aus der Sackgasse und bis nach Hause zu meiner Parzelle. Ich wusste nicht, wie ich mich bedanken sollte.
»Wenn du irgendwann einmal Hilfe brauchst, Sterbehilfe zum Beispiel, komm vorbei, ich werde für dich da sein«, sagte ich zu Don Juan.
Er antwortete nicht. Schade, dass Kanarienvögel nicht sprechen können, der hier hätte bestimmt viel zu erzählen. Obwohl – als Kind hatte ich Angst vor sprechenden Vögeln. Meine erste Freundin hatte einen sprechenden Papagei, der sie oft verraten hat. Wenn ihre Eltern abends von der Arbeit kamen, krähte der Papagei: »Küss mich«, »Wie geht dieser Büstenhalter auf?« und andere Unanständigkeiten.
Sprechende Vögel können sehr gemein sein, und sie leben lange. Im Münchner Zoo, so erzählte mir ein Freund, rief ein Papagei noch 1953 ständig »Heil Hitler«. Neben seinem Käfig hing ein Schild: »Die Zooverwaltung ist mit der Meinung des Vogels nicht einverstanden.«
Alle meine Freundinnen besaßen lustige Haustiere. Meine Exfreundin hatte zum Beispiel einen hochsensiblen Dackel, der laufend scheinschwanger war. Einmal nahmen wir ihn in den Wald mit, damit der Dackel sich ein wenig in der Wildnis austoben konnte. Denn eigentlich sind Dackel Jagdhunde. Schnell hatte er die Spur eines Riesenhasen entdeckt und verfolgte sie mit lautem Bellen. Doch der Hase war eine Beute mit Lebenserfahrung, schnitt professionell ein paar Ecken ab, und der Dackel, der wegen seiner kurzen Beine einen langen Bremsweg hatte, knallte mit voller Wucht gegen eine Tanne. Die Jagd war damit zu Ende. Am nächsten Tag schwoll der Dackel immer mehr an, er saß unter dem Bett und gab mitleiderregende Geräusche von sich. Eine Tierärztin attestierte ihm eine so genannte Scheinschwangerschaft. »Sie brauchen nichts zu tun, das geht von alleine vorbei«, meinte die Ärztin.
Der arme Dackel hatte seinen Knall gegen den Baum falsch gedeutet, er bildete sich ein, von dem wilden Riesenhasen geschwängert worden zu sein und wartete nun auf die Babys, die nicht kamen. Nach zwei Wochen schwoll der Dackel wieder auf Normalmaß zurück. Aber jedes Mal, wenn er fortan einen Hasen oder etwas Hasenähnliches sah, schwoll er sofort wieder an. Und manchmal schwoll er auch einfach so an, aus Langweile. Ich weiß dank solcher Geschichten, dass Tiere und Vögel auch eine Psyche haben, und behandele sie daher immer mit Respekt.
Der Schrebergarten-Kanarienvogel sagte kein Wort. Schweigend hatte er mir geholfen, den Weg nach Hause zu finden. Ich überquerte die Brücke, ging an dem längst geschlossenen Vereinsgebäude vorbei, an dem Brett mit den Parteipapieren, an der leeren Bank und landete schließlich vor unserem Gartentor. Das Licht in der Laube brannte. Ich hatte die Birne absichtlich nicht ausgemacht, damit ich das Schlüsselloch finden konnte.
In der Laube war es stickig und eng. Ich hatte keine Lust zu schlafen und beschloss, noch ein wenig zu lesen. Mein Vorbild Henry Thoreau hatte in seinem Werk sehr ausführlich beschrieben, wie er in der Wildnis das Bohnenpflanzen mit dem Bücherlesen geistreich verband. Im Schrebergarten war ich auf Bohnen nicht angewiesen. Ich hatte mich rechtzeitig vor dem Einzug in die Laube mit Chips und belegten Brötchen eingedeckt, also fing ich gleich mit der Lektüre an.
»In der Anhäufung unseres Eigentums, in der Gründung einer Familie oder eines Staates sind wir sterblich«, schrieb Thoreau, »aber im Forschen nach der Wahrheit sind wir unsterblich.« In seiner Hütte lagen Homer, Aischylos und einige Reisebücher. In meiner Laube hatte ich nur Der Sinn des Lebens , 300 praktische Ratschläge für intelligente und faule Gärtner sowie einen von Frau Pflaume geerbten DDR-Garten-Ratgeber, den Rat für jeden Gartentag . Anders als sein westdeutscher
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