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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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dem Schrank, seinen Fahrradhelm und die Brille, lief durch die Hintertür nach draußen, stieg aufs Fahrrad, und los ging’s. Keine zwanzig Minuten später summte er schon mit dem Rasenmäher,  wrummm, wrummm.  Die Risikoinvestitionen und Finanzpläne mussten warten.
    Kurzerhand beschloss ich, meinen Nachbarn zu besuchen. Er zeigte mir stolz seine großgewachsenen Kartoffeln, Radieschen, die etwas von Käfern angebissen waren, Zwiebeln und Erdbeeren. Und ein eigenhändig zubereitetes Knoblauchkonzentrat in einem großen Glas, mit dem er die Bäume gegen ihre natürlichen Feinde schützen wollte. Ich erzählte ihm von meinem Ärger mit dem Vereinsvorstand. Herr Kern hatte die Parteibeschlüsse am schwarzen Brett auch gesehen, und in seinen Augen las ich nun eine kleingartentypische Mischung aus Mitleid und Schadenfreude. Ich wollte den Konflikt mit dem Vorstand nicht unnötig verschärfen, und Herr Kern erklärte sich bereit, mir zu helfen, die arme Korkenzieherweide zu fällen, obwohl sie niemandem etwas zuleide getan hatte. Aber so ist das Leben.
    »Wir können deine Weide mit meiner Elektrosäge Stück für Stück abschneiden und dann mit meinem Häcksler zermahlen«, überlegte Herr Kern laut. »Ich habe da so einen Häcksler in der Laube.«
    Sein Gerät der Marke  Bosch  verschluckte meine arme Korkenzieherweide innerhalb von Sekunden, zerkaute sie und spuckte die Überreste in eine Tüte. Anstelle des Baumes pflanzte ich gleich vier neue Erdbeerpflänzchen, indem ich Ableger von bereits dort wachsenden Erdbeeren nahm. Anschließend begoss ich den Garten gründlich und ging einkaufen. Die Brötchen waren alle. Auf dem Rückweg machte ich einen Schlenker und schaute im Straßenbahngarten vorbei. Die Bewohner dieser Parzelle konnte man schon auf halbem Weg deutlich hören. Das eine Kind war auf einen Baum geklettert, das andere hing an seinem Fuß.
    »Lass mich los!«, schrie das eine.
    »Niemals!«, schrie das andere.
    »Hört sofort auf!«, schrie die Oma. Dazu bellten die Hunde.
    Nur Frau Krause ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie saß auf der Terrasse, rauchte  American Spirit  und zählte die Erdbeeren auf dem Tisch.
    »Hundertvierundachtzig Stück!«, sagte sie strahlend, als ich näher kam. »Und sie schmecken richtig nach Beeren, nicht wie dieses Zeug aus der Kaufhalle. Habe ich dir schon erzählt, dass mein Mann eine Affäre hatte, mit einer alten Frau aus Palermo? Ich hätte ihm so etwas nicht zugetraut, er war nur einmal drei Tage in Palermo, und gleich eine Affäre! Jetzt schreibt er Briefe nach Palermo. Aber hinziehen möchte er nicht. Er sagte, ich sehe das alles falsch, es wäre rein fleischlich gewesen, keine Liebe also. So sind die Bräuche in Palermo. Die Mädels sind alle Feuer und Flamme in Palermo. Wenn ein Mann einer Frau gefällt, geht sie zu ihm und sagt es ihm ins Gesicht. In Palermo.«
    »Sag mal, Renate«, fragte ich meine Nachbarin, um sie von Palermo abzulenken. »Wusstest du, dass dein Kanarienvogel Don Juan nachts durch die Kolonie spaziert? Ich habe ihn letzte Nacht ziemlich weit weg von hier hinter dem Vereinsgebäude getroffen.«
    Renate überlegte kurz.
    »Das hat er vor seinem Herzanfall nie getan«, erzählte sie. »Mein Schwiegervater war aber Schlafwandler.« Ob es möglich wäre, dass der Geist des Schwiegervaters in den Körper des schlafwandelnden Kanarienvogels umgesiedelt war?
    Zurück in der Heimatlaube erwartete mich bereits meine ganze Familie. Meine Kinder, meine Frau und sogar meine Schwiegermutter waren gekommen, um mich zu überreden, das Experiment »Mein Leben im Garten« abzubrechen. Ehrlich gesagt, war ich selbst nicht mehr scharf auf eine zweite Nacht inmitten der Insekten. Henry Thoreau hatte sicher mehr Ausdauer, mehr Entschlossenheit als ich. Er war aber auch ziemlich durchgeknallt – verbrachte sein Leben ohne Wein und ohne Frauen, predigte Enthaltsamkeit und bezeichnete faule Menschen als unreine Wesen. Ich bin dagegen der Meinung, dass der Faule manchmal mehr erkennt, während sich der Fleißige in seinem ständigen Tun bloß untergräbt. Außerdem sind fleißige Menschen dauernd schlecht gelaunt, weil sie glauben, unterfinanziert zu sein. Die Fleißigen haben in der Regel einen überempfindlichen Sinn für Gerechtigkeit. Das macht sie zu schwierigen Menschen. Sie haben ständig das Gefühl, von anderen hintergangen zu werden, die viel weniger arbeiten oder gar nichts tun und trotzdem mehr kriegen. Fleiß verdirbt den Charakter. In

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