Mein Leben in 80 B
einmal eine Erklärung dafür abholen, warum du wortlos verschwunden bist. Das ist nicht fair.» Elissa schüttelte den Kopf, als hätte ich gerade ihren besten Champagner in die Toilette geschüttet.
«Fair, fair! Hast du eine Ahnung, wie egal mir das gerade ist? Als ich aus der Wohnung raus war, habe ich mit Toni telefoniert und bin mir dabei vorgekommen wie das schlimmste Luder aller Zeiten. Der sitzt zu Hause und verdient unser Geld, kümmert sich um die Kinder und macht sich Sorgen um mich …»
«Sicher macht er das!», antwortete Elissa gelassen. «So wie ich Toni kenne, lässt der seine Mutter wirbeln und kümmert sich um seine Agentur. Und wenn er sich um irgendetwas sorgt, dann höchstens darum, dass er das nächste Pitching nicht gewinnt.» Elissa schenkte uns aus der gekühlten Flasche nach.
«Wie meinst du das denn?»
Sie kuschelte sich etwas näher an mich heran und griff nach meiner Hand. «Dein Mann Toni hat dich sicher sehr lieb. Aber seit die Tinte unter eurem Ehevertrag getrocknet ist, hat er sich doch total zurückgelehnt. Hat sich von dir alles vor die Nase tragen lassen, und du hast ihm jeden Wunsch erfüllt.» Sie drückte meine Hand etwas fester. «Toni will ein Kind, also gibt’s ein Kind. Toni will lieber am Stadtrand wohnen, schon werden die Kartons gepackt. Toni verzehrt sich nach einem Sohn, schon wird an der Produktion gearbeitet. Du fährst sogar jedes Jahr in den Skiurlaub, obwohl du nicht einmal Ski laufen kannst. Hast du auch nur einmal in den vergangenen Jahren darüber nachgedacht, was
du
eigentlich willst?»
Ja, das hatte ich. Vorhin im Kino. Aber dann hatte ich das Grübeln lieber eingestellt, weil ich mich mit meinen Gedanken im Kreis drehte. Natürlich hatte Elissa nicht ganz unrecht. Aber es war mir nie schwergefallen, mich nach Tonis Wünschen zu richten. Ich hatte mich genauso über die Kinder gefreut wie er, und auch ich hatte nach Hannas Geburt im Grünen wohnen wollen.
«Es geht mir gut mit Toni. Er ist ein toller Mann!» Hörte sich das für Elissa genauso verzweifelt an wie für mich?
«Das mag ja sein, das habe ich nie bezweifelt. Toni ist charmant und aufmerksam, aber er ist auch ein Mann mit südländischem Blut, trotz der roten Zotteln auf seiner Rübe. Und was man den Italienern so nachsagt, das passt ja wohl auch auf deinen niedlichen Feuermelder: spontan, erfolgsorientiert, Patron und damit Bestimmer in der Familie …»
«Übertreib nicht. Für mich kommen doch auch mein Mann und meine Kinder an erster Stelle.»
«Nach Oke!», witzelte meine Freundin.
Ja, wohin gehörte Oke in meiner Prioritätenliste? Immerhin hatte ich den schönen Koch geküsst, und die Erinnerung daran war keineswegs unangenehm. Im Gegenteil: Oke küsste besser als Toni. Oder anders. Fordernder, gieriger. So hatte mein Mann mich noch nie geküsst. Jedenfalls konnte ich mich nicht daran erinnern.
«Ach, Elissa. Muss ich jetzt mein ganzes Leben in Frage stellen? Ich will nicht, dass sich etwas ändert.»
«Nein, das musst du nicht. Natürlich wäre es Toni gegenüber nicht fair, aber du bist meine Freundin, und mir ist wichtig, dass es dir gut geht. Wenn dir danach ist, kannst du hier eine heiße Affäre haben und danach ganz gemütlich wieder zu deinen Lieben eiern, mit schönen Erinnerungen und einem tollen Gefühl im Bauch.» Sie ließ meine Hand los, um sich das Kissen im Rücken zurechtzuklopfen. «Wenn du willst, kommst du einfach in ein oder zwei Wochen wieder her. Oke kann mit so einer Beziehung bestimmt gut leben, der hat sowieso nicht viel Zeit. Und Toni wird das gar nicht merken. Wusstest du, dass 2010 das Jahr der Seitensprünge war? Warum solltest du nicht auch mal mit dem Trend gehen?»
«Du bist ja nicht ganz dicht. Das könnte ich nie. Und ich muss Toni auf jeden Fall von diesem Kuss erzählen.» Ich versuchte, überzeugt zu klingen.
«Von einem simplen Kuss?» Elissa verschluckte sich fast an ihrem Champagner. «Damit machst du wirklich aus einer Mücke einen Elefanten. Oder es steckt doch mehr hinter deinem kleinen Ausrutscher, als du dir eingestehen willst. Vielleicht flattern da doch so vier bis fünf Schmetterlinge im Bauch?»
«Quatsch. Lass uns aufhören, darüber zu reden. Ich möchte einfach nur noch schlafen. Ist das okay?»
Ich wollte erst einmal selbst zu einem Urteil kommen, bevor ich meine Freundin über mich urteilen ließ.
«Nein, das ist nicht okay.» Elissa sprang vom Bett auf. «Immerhin ist heute mein Geburtstag. Du stehst jetzt auf,
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