Mein Leben in 80 B
gehst heiß duschen, und dann ziehen wir uns nett und warm an und machen einen Spaziergang. Vielleicht einen Schaufensterbummel? Oder einen kleinen Marsch am Strand entlang? Wir können nach Kampen oder nach Keitum fahren, wenn du willst. Und danach lade ich dich zum Essen ein. Ich verspreche, nicht an den Kellnern herumzunörgeln und das Essen wirklich zu genießen. Komm schon, raff dich auf. Wir müssen sowieso noch raus, der Kühlschrank ist fast leer.»
Mir war klar, dass ich gegen Elissa keine Chance hatte. Auch wenn ich mich am liebsten ganz tief unter der Bettdecke verkrochen hätte, um mich vor der Welt und allen Anrufern zu verstecken, blieb mir nichts anderes übrig, als genau das zu tun, was sie wollte. Vielleicht würde mich der Spaziergang ja vom Grübeln ablenken.
***
Wir fuhren nach List und spazierten weit an der Oststrand-Promenade entlang, dick eingekuschelt in unsere Mäntel. Die meiste Zeit schwiegen wir und sahen uns am endlos scheinenden grauen Meer, dem strandkorblosen glatten Strand und den weiß gefrorenen Ästen der Bäume vor dem strahlend blauen Himmel satt. Mein Handy hatte ich ausgeschaltet, nachdem ich vorsorglich Okes Nummer gespeichert hatte, um vorbereitet zu sein, falls er erneut versuchte, mich zu erreichen.
Wenn wir uns unterhielten, dann über belanglose Dinge wie die eisigen Temperaturen, Elissas Geburtstagsgeschenke oder die Hunde, die uns begegneten. Oke und Toni ließen wir bewusst aus.
Als es anfing zu dämmern, fuhren wir mit dem Auto nach Rantum in die Hörnumer Straße zur Sansibar, seit Jahren eines der angesagtesten Restaurants der Insel. Prominente gingen hier ein und aus, und die Touristen liebten die feine Küche von Herbert Seckler und seiner Crew. Im Sommer konnte man draußen sitzen und die Füße im Strandsand wärmen, während man sich mit Köstlichkeiten verwöhnen ließ.
Aber auch jetzt war die «Hütte in den Dünen» rappelvoll. Draußen, unter der Dachrinne und am Geländer der Terrasse zum Strand, hingen Lichterketten. Drinnen wäre allein die Dekoration einen Besuch wert gewesen. Es sah aus, als hätte jemand zwischen den holzvertäfelten Wänden mehrere Weihnachtsbäume explodieren lassen. Unter der Decke des mit schlichten Holzmöbeln eingerichteten Restaurants hingen Tannenzweige und Hunderte Anhänger: Engel, Weihnachtsmänner, winzige Schlitten, Sterne und Schneemänner. Ich war sprachlos.
Wir setzten uns an einen Tisch gegenüber der Bar. Elissa rutschte gleich auf die Bank mit dem Rücken zum Fenster, damit ich hinaussehen konnte, solange es noch etwas Tageslicht gab.
Im ganzen Raum roch es angenehm nach Rotwein, gebratenem Knoblauch und Gewürzen. Die Sansibar war nicht zuletzt für ihren sensationellen Weinkeller und für das exzellente Frühstücksbuffet bekannt, aber Elissa war vor allem wegen des warmen Essens Stammgast hier. Um uns aufzuwärmen, bestellten wir beide zunächst den hauseigenen Glühpunsch.
Ich ließ mich auf dem Stuhl zurückfallen, schaute hinaus in die immer grauer werdende Unendlichkeit und entspannte mich in der wohligen Wärme. Alles würde sich irgendwie finden. Wahrscheinlich musste ich nur gut essen, leckeren Wein trinken und dann eine Nacht tief und fest schlafen, und morgen würde ich mit der Lösung für mein Problem aufwachen.
«Was isst du denn? Auf jeden Fall sollten wir einen Wein von Robert Bauer nehmen, den gibt’s nicht überall. Als Tagesessen gibt es heute Haxen vom Susländer Schwein auf geschmortem Spitzkohl mit Sylter La Ratte Kartoffeln. Oder als Spezial ein Filet von der Lachsforelle mit grünen Bohnen. Aber vielleicht nehme ich lieber die Trüffelravioli mit Spinat und Parmesan. Was meinst du?» Elissa benahm sich, als verbrächte sie einen völlig normalen Geburtstagsabend mit ihrer Freundin aus Brandenburg, und ich war ihr dankbar für ihre Feinfühligkeit.
«Was sind denn La Ratte Kartoffeln?» Manchmal überforderte Elissa mich mit ihrer Fachkenntnis in Sachen Feinkost.
«Das ist eine alte französische Sorte. Festkochend. Hast du schon mal von Bamberger Hörnchen gehört? Nee, klar.» Offensichtlich war an meinem Gesichtsausdruck abzulesen, dass außer Linda festkochend kaum etwas in meinem Topf landete. Elissa formte mit den Fingern ein Oval. «So ähnlich sehen die aus, etwas länglich und gebogen. Sehr lecker. Und bevor du fragst: Susländer Schweine können immer fressen und saufen und sich frei bewegen, die Futtermittel sind garantiert frei von Antibiotika und chemischen
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