Mein Leben in 80 B
schon war er verschwunden.
Mir blieb ein dicker, fetter Kloß im Hals. Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt, dass ein so interessanter und so viel jüngerer Mann ausgerechnet mich wollte. Aber ich war gern verheiratet, ich liebte meinen Mann und meine Kinder. Noch nie in meinem Leben hatte ich in einer derartigen Zwickmühle gesteckt, noch nie so die Kontrolle verloren. Konnte man sich als fast Vierzigjährige einfach so in jemand Neues verlieben? Waren das Schmetterlinge in meinem Bauch, oder war das nur der gärende Restalkohol? Ich saß immer noch mit dem Vanilleduft von Oke in der Nase da, als Elissa sich wieder auf ihren Platz setzte.
«Den Wein und die Suppen habe ich schon mal bestellt, du hattest ja zu tun, wie ich gesehen habe. Tut mir leid, aber ich musste Oke Bescheid geben, wo wir sind. Er tat mir einfach leid.» Elissa nahm ihre Serviette und begann, sie auf immer neue Arten zusammenzufalten. «Ilse, du kannst diesen Mann nicht einfach wegschieben wie einen Haufen alten Schnee. Der hat sich in dich verknallt. In deine stille Art, deine Freude am Genuss und in deine freundlichen braunen Augen. So habe ich den noch nie erlebt.» Sie legte beide Hände auf den Stofflappen, der inzwischen komplett zerknüllt war, und sah mich an. «Frauenmäßig hat Oke immer mal wieder etwas am Start, aber das war bisher eher zum Wärmen für kalte Nächte. Er hat sich immer hinter seinem Job versteckt und behauptet, er sei für eine Beziehung nicht gemacht.»
Das sagte die Richtige. «Kommt mir bekannt vor. So jemanden kenne ich auch.»
«Ja, mit dem Unterschied, dass ich überzeugt bin von diesem Leben», wehrte sich Elissa. «Ich möchte nicht zu Hause bleiben müssen, weil ich kein Kindermädchen finde, und ich will nicht, dass jemand anderes für mich das Fernsehprogramm aussucht.» Sie deutete in Richtung Fenster, als würde sie ganz Sylt in ihre Überlegungen einbeziehen. «Wenn ich morgen keine Lust mehr habe, hier auf der Insel Restaurants zu testen, dann gehe ich vielleicht wieder nach Berlin oder berate Fernsehstationen und Produktionsfirmen sonst wo. Natürlich bin ich manchmal traurig und einsam.» Mit einem Mal wurde sie stiller, während sie versuchte, mir ihre Gefühle zu beschreiben. «Zum Beispiel sonntagmorgens oder an Weihnachten, wenn alle bei ihren Familien sind. Aber diese wenigen traurigen Tage möchte ich nicht gegen all diejenigen tauschen, an denen es mir phantastisch geht. Wenn ich deine E-Mails lese und höre, wie dein Leben abläuft, erkenne ich manchmal nichts von der kessen und abenteuerlustigen Ilse wieder, mit der ich zur Schule gegangen bin.»
«Ich gebe zu, manchmal ist mein Leben langweilig», räumte ich ein. «Deswegen habe ich ja angefangen, die Partys zu geben. Du ahnst nicht, was sich manchmal zwischen Tangas und Bodys für Dramen abspielen.»
«Aber es sind nicht deine Dramen, sondern die von irgendwelchen Frauen, die du nie wiedersiehst. Das ist doch nichts anderes als Fernsehen. Ilse, du kannst Oke nicht einfach wieder aus deinem Leben löschen und weitermachen wie bisher.»
Wohin führte dieses Gespräch? In meinem Kopf purzelten Gedanken, Erinnerungen und Gefühle durcheinander und richteten ein unglaubliches Chaos an. «Ich will ihn doch nicht einfach wegschieben, aber ich kann auch nicht mein Leben um hundertachtzig Grad drehen.»
Elissa ließ den Kellner, der an unseren Tisch getreten war, Wein einschenken, kostete und nickte zustimmend. Er stellte die Flasche auf dem Tisch ab und verschwand.
«Niemand erwartet von dir, dass du nach Hause fährst, deine Koffer packst und sofort ein neues Leben beginnst. Sei etwas entspannter und mach nicht aus allem gleich so eine Riesennummer.» Sie trank einen riesigen Schluck aus ihrem Weinglas, um sich gleich darauf nachzuschenken. «Kümmere dich einfach mal um dich und um dein Seelenleben. Du wirst doch nicht mit der Ehrenmedaille für die treueste aller Ehefrauen ausgezeichnet, wenn du nie wieder jemand anderen an deine Lucinda-Dessous lässt als Toni!»
«Als Mutter und Ehefrau, altersmäßig nah an den Wechseljahren, nehme ich mir mal eben einen jugendlichen Liebhaber, und alles ist gut? Meinst du das?»
Ich wollte diese Diskussion nicht, ich wollte nicht darüber nachdenken, was ich vielleicht an meinem gemütlichen und durchgeplanten Leben ändern sollte.
«Eigentlich habe ich von deinem Seelenleben gesprochen. Aber wenn ich es mir recht überlege: Insgeheim hattest du doch immer schon einen Hang zu wildem Sex.»
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