Mein Leben in 80 B
Vertrauen missbraucht hast? Dass du mich nicht mehr liebst?» Für einen Moment schienen Tonis Augen Funken zu versprühen. «Ilse, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Was machen wir denn jetzt?»
Ich konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Und dann begann auch Toni zu weinen. Schließlich saßen wir da wie zwei Darsteller in einem miserablen Film, zwischen leeren Weinflaschen, Essensresten, den Scherben des Geschirrs und unserer Ehe und heulten uns die Augen aus dem Kopf.
Ein Handy piepste beim Eingang einer SMS , aber Toni reagierte nicht. Schniefend putzte ich mir die Nase. Das Telefon gab noch einmal piepsend bekannt, dass es etwas Neues zu lesen gab.
«Willst du nicht nachsehen? Vielleicht ist es wichtig.»
Toni sah mich mit roten Augen an. «Das war nicht meins.»
Also fischte ich mein Handy hinter dem Brotkorb hervor. Tatsächlich hatte ich eine neue Nachricht. Von Oke. Ausgerechnet. Ein zusätzlicher Hinweis auf meinen miesen Charakter. Ich wollte jetzt nicht lesen, was er schrieb, und schaltete das Handy einfach aus.
«Ilse, auch wenn du mich für unsensibel hältst – du musst dir überlegen, ob ich noch der richtige Mann für dich bin. Ich habe doch in den letzten Wochen gespürt, dass du nicht ganz hier, bei mir, bei uns bist.» Er sah so traurig aus. Und ich hatte gedacht,
er
wollte
mich
verlassen. «Ich dachte, das hängt mit deinem runden Geburtstag zusammen. Damit, dass es für dich nicht einfach ist, vierzig zu werden. Aber vielleicht hast du ja auch einfach genug von mir. Wenn ich daran nichts ändern kann, müssen wir wohl herausfinden, wie wir getrennter Wege gehen können, ohne dass die Kinder Schaden nehmen …»
«Aber ich will mich gar nicht von dir trennen! Und es ist auch nicht wahr, dass ich dich nicht mehr liebe.» Langsam begriff ich, dass ich mit meinen Aktionen mehr Schaden angerichtet hatte, als ich mir jemals hätte vorstellen können.
«Aber irgendetwas stimmt doch nicht mehr zwischen uns», beharrte Toni. «Du willst nicht mehr mit mir schlafen, du erzählst kaum noch etwas, du unterstellst mir ein Verhältnis … Das klingt für mich nicht nach einer Frau, die sich nach ihrem Ehemann verzehrt.»
Es war absurd und absolut unpassend, aber auf einmal musste ich unfreiwillig über seine Formulierung grinsen. Auch Tonis Mundwinkel verzogen sich ganz leicht nach oben. Und dann noch ein wenig.
«Witzig ist das eigentlich nicht», sagte er dann.
«Nein, das ist das Gegenteil von witzig», stimmte ich ihm zu. «Das ist so bescheuert, dass man eigentlich nur darüber lachen kann. Du hättest die allerbesten Gründe, dich entweder auf der Stelle von mir zu trennen oder mich umgehend in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie einweisen zu lassen. Und jetzt muss ich dir was erzählen: Ich habe angefangen, dir zu misstrauen, weil ich mich selbst fast in einen anderen Mann verliebt hätte.» Jetzt war meine letzte Chance, reinen Tisch zu machen und Toni ehrlich zu erklären, warum ich auf ihn so verändert gewirkt hatte. «Ich war total aus dem Häuschen, als plötzlich jemand die Frau in mir sah. Und nicht die Mutter oder die Ehefrau oder die Dessous-Vertreterin. Wie sehr ich dich liebe, habe ich erst gespürt, als es fast zu spät gewesen wäre. Als ich dir dann ganz nah sein wollte, war da plötzlich diese Frau am Telefon, und da dachte ich …»
Von einer Sekunde auf die nächste war Toni das Lächeln wieder wie aus dem Gesicht gewischt. «Du hast gedacht, wenn du mich betrügst, würde ich das wohl auch mit dir machen?! Mein lieber Scholli, du tickst echt nicht richtig. Das ist ja alles noch viel schlimmer, als ich befürchtet habe.» In seinen Augen konnte ich sehen, wie kurz der Zorn in ihm aufwallte. Aber schon in der nächsten Minute hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er stützte sein Gesicht auf beide Hände und sah mich an wie ein Hund, der um eine Streicheleinheit bettelt. «Und wer ist der Typ?»
«Das ist doch egal. Es ist ja nichts gelaufen, und es wird auch nichts laufen. Ich fühlte mich geschmeichelt, weil ein jüngerer Mann mich toll fand. Das war auch schon alles.»
Wieder saßen wir da und starrten uns an. So offen und lange hatten wir seit Monaten nicht miteinander geredet. Endlich zeichnete sich auf Tonis Gesicht so etwas wie ein heller Sonnenstrahl zwischen grauen Regenwolken ab.
«Vielleicht sollten wir die Kinder zur Adoption freigeben, dann hätten wir öfter Abende wie diesen, an denen wir uns in Ruhe unterhalten können. Dann käme
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