Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
spindeldürr, und jeder Muskel seines Oberkörpers war haarscharf definiert. Er trainierte unaufhörlich, und das tat er auch, als ich ihn das erste Mal wirklich zur Kenntnis nahm. Als ich hinüberschaute, sah ich, dass er Kniebeugen machte, und dabei trug er nur seine Boxershorts. Ich stutzte, als ich die kleinen schwarzen Punkte überall auf seinem Körper sah. Bei genauerem Hinschauen erkannte ich, dass es Grillen waren. Dicke schwarze Grillen. Sie klebten an Schultern, Brust und Bauch, befestigt mit kleinen durchsichtigen Klebstreifen. Sogar am Hals saß eine. Er nannte sie gern seine » Babys « und konnte sie zum Zirpen bringen, indem er sie auf eine spezielle Weise berührte. Er hatte sie – und ihre Nachkommen – eine ganze Weile, bis die Wärter in seine Zelle kamen und sie alle ins Klo spülten. J.C. schien ehrlich betrübt über diesen Verlust zu sein, als seien sie ihm sehr ans Herz gewachsen.
J.C. war ein ungeheuer begabter Maler, aber seine Themen kamen aus den dunkelsten Winkeln einer gestörten Psyche. Einmal stand er lässig im Eingang, wiederum nur in seiner Boxershorts-Uniform. In seinem Mundwinkel hing eine handgedrehte Zigarette, und er spähte blinzelnd durch den aufsteigenden Rauch. Sein Blick schien sich auf etwas über meinem Kopf zu richten, als er mir eine Papprolle zuwarf, wie man sie in einer Rolle Toilettenpapier findet. Darin steckte ein Bogen fest zusammengedrehtes, dickes Malpapier. » Check das mal und sag mir, was du mir dafür gibst « , murmelte er und zog sich dann in seine Zelle zurück. Ich zog das Papier heraus, rollte es auseinander und sah einen makellos gezeichneten weiblichen Körper in liegender Position. Das Grausige daran war, dass J.C. der Frau seinen eigenen Kopf aufgesetzt hatte. Starr vor Schrecken starrte ich auf das Bild. Ich war so geschockt, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte. Schreien? Lachen? Was? Am Ende tat ich das Einzige, was ich tun konnte: Ich rollte das Blatt zusammen, warf es ihm zurück und sagte: » Tut mir leid, J.C., aber so eins hab ich schon. « Er akzeptierte diese Erklärung, als sei sie völlig plausibel, und gab die Zeichnung an den nächsten Kunden weiter.
Zeichnen war nicht die einzige Ausdrucksform seiner Kreativität. Einmal baute er kleine Armbrüste aus Zungenspateln, Elmer’s Alleskleber und dicken Gummibändern. Die Dinger waren kein Spielzeug, sondern stark genug, um Haut zu durchdringen. Manche Leute wurden ein bisschen nervös, wenn sie ihn damit sahen, obwohl er nie wirklich auf jemanden geschossen hat. Er war imstande, dir ein Geschoss am Ohr vorbeischwirren zu lassen, aber worauf er wirklich geschossen hat, waren Ratten. Eine Zeitlang dünnte er die Rattenpopulation im Gefängnis aus. Eines Tages wurde der Hobo nervös, als J.C. mit einer Armbrust in seine Richtung fuchtelte, und er verpfiff ihn bei den Wärtern. Damit war J.C.s Scharfschützenkarriere zu Ende.
J.C.s hatte die unglaublich irritierende Angewohnheit, splitternackt zur Dusche und wieder zurück zu spazieren. Gemächlich schlenderte er auf der Galerie hin und her, als sei das nichts Ungewöhnliches. Was nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn man ihn hätte ignorieren können, aber er steuerte geradewegs auf einen zu und fing eine Unterhaltung an. Das war den Leuten ziemlich unbehaglich. Jeder ging anders damit um. Kaum öffnete er den Mund, brüllten manche empört: » Ich hab dir gesagt, du sollst nicht versuchen, ohne Hose mit mir zu reden! « Andere sahen sich nervös nach rechts und links um und vergewisserten sich, dass keiner zuschaute, und dann bemühten sie sich, ihm so schnell wie möglich zu antworten, damit er weiterging. Alles in allem konnte er ziemlich unterhaltsam sein, und niemand war glücklich, als der Staat ihn schließlich hinrichtete.
Ein anderer potentiell gefährlicher Schizophrener wurde kürzlich nach zweiundzwanzig Jahren im Todestrakt hingerichtet. Er war so lange hier gewesen, weil man ihn für zu verrückt gehalten hatte, um das Urteil zu vollstrecken. Schließlich gab der Staat ihm Medikamente, die ihn so weit zur Vernunft bringen sollten, dass er sein bevorstehendes Ende begreifen konnte. Bei denen, die ihn kannten, bestand kein Zweifel, dass er verrückt war. Ich kannte ihn seit dem Tag, als er mir ins Gesicht gespuckt und mich bezichtigt hatte, ich hätte ihm eingewachsene Zehennägel verpasst. Er schrie mich noch an, als die Wärter ihn ins Loch brachten.
Das ist etwas, woran man sich niemals gewöhnt. An einem Tag
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