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Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damien Echols
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. Ich fand seinen Geschmack unkultiviert und ästhetisch nicht besonders ansprechend, aber in gewisser Weise leuchtete es ein. Das heißt, es leuchtete so lange ein, bis ich sah, dass er auch eine Streichholzschachtel voll Augen hatte. Er hatte einen Stapel Zeitschriften durchgeblättert und bei jedem Bild sorgfältig mit einer Rasierklinge die Augen herausgeschnitten. Er war zutiefst beleidigt, als ich andeutete, dass das möglicherweise nicht ganz normal sei, und behauptete, es habe etwas mit einem Kunstwerk zu tun, das er schaffen wolle. Das Schächtelchen mit den Augen verschwand dann und wurde nie wiedergesehen.
    Wer langfristig Drogen nimmt, ist an dem körperlichen Tribut zu erkennen, den die Sucht fordert. Am offensichtlichsten ist es bei denen, deren Zähne im Mund zerbröckeln. Manchmal riecht ihr Atem, als ob sie innerlich verfaulten. Sie lächeln mit ihren Zahnruinen, während sie dir erzählen, wie gut das Dope ist. Nein, vielen Dank. Ich bin viel zu eitel, um mich auf etwas einzulassen, das mein Aussehen beschädigt.
    Dass sie im Gefängnis sind, bedeutet nicht unbedingt, dass sie nichts mehr nehmen. Wenn der Preis stimmt, sind die Wärter nur zu gern bereit, ihnen zu einem Schuss von dem zu verhelfen, was sie brauchen. Manche sind Alkoholiker, die ihren Stoff selbst brauen. Das ist sehr verbreitet. Sie nehmen die entsetzlichsten Zutaten, die man sich nur vorstellen kann, und schon bei dem Geruch dreht sich einem manchmal der Magen um. Im Gefängnis heißt dieser ungenießbare Dreck » Schwarzgebrauter « . Merlot ist es jedenfalls keiner, und Sie werden das Zeug auch nicht so bald im Supermarktregal finden.
    Ich sehe auch, dass Männer sich Zigaretten aus Papier drehen, das sie aus der Bibel gerissen haben. Das nennen sie » den Heiligen Geist rauchen « . Wer keinen Tabak hat, raucht alles, was er sonst auftreiben kann – alte Teebeutel, Toilettenreiniger, alles. Ich habe gesehen, wie jemand zuckend und mit Schaum vor dem Mund zu Boden fiel, nachdem er etwas geraucht hatte, das aussah wie babyblaues Steinsalz. Seine Augen drehten sich in den Höhlen nach innen, und seine strampelnden Füße schoben ihn über den Boden wie beim Rückenschwimmen auf Beton. Es sind harte Zeiten für Junkies, und die Süchtigen haben schon vor langer Zeit ihre Seele verkauft.
    Man sammelt nicht viele Erinnerungen im Gefängnis – zumindest keine, die man behalten oder auf die man liebevoll zurückblicken möchte. Eher gibt es schreckliche Szenen und Situationen, die wie mit einem Brenneisen in die Psyche eingebrannt werden. Aber die Fähigkeit, gute Erinnerungen zu sammeln, die ist weg. Die, mit denen man hereingekommen ist, sind die Einzigen, die man jemals haben wird. Ich bin immer wieder zu meinen Erinnerungen zurückgekehrt und habe, so gut ich konnte, versucht, jeden Tropfen Nahrung herauszupressen. Wie ein Vampir habe ich sie ausgesaugt und dann die staubige Hülle abgesucht, immer in der Hoffnung, noch ein Tröpfchen zu finden, das ich bei den vorigen hundert Malen übersehen hatte. Manchmal habe ich eine tiefgründige Lebenserfahrung Revue passieren lassen, und dann wieder habe ich ein winziges Detail durchgekaut wie eine Hyäne, die in einem alten Knochen noch einen Rest Mark sucht. Zwei Wochen lang habe ich mich an den Knauf an der Haustür meiner Großmutter erinnert. Ich habe mich daran erinnert, wie es war, ihn an einem Wintermorgen anzuschauen und zu wissen, dass er sich an meiner Hand kalt wie Eis anfühlen würde. Ich habe mich daran erinnert, wie es sich anfühlte, den Arm zu heben und danach zu greifen, das graue Metall mit meinen weißen Fingern zu umfassen. Und dann der beste Teil: der Schwall von warmer Luft, der herausströmte, wenn ich die Tür öffnete. Es war nicht nur Wärme, was da über mich hinwegflutete, es war Zuhause. Es überschwemmte, umhüllte, begrüßte mich. Und dann war die Tür wieder geschlossen, und der Prozess begann zum zehnten Mal an diesem Tag von Neuem, vielleicht auch zum hundertsten Mal. Ich zählte nicht mehr mit. Die Zahl war auch ohne Bedeutung – nur das Erlebnis war wichtig. Sie würden staunen, an was für Kleinigkeiten Sie sich wieder erinnern, wenn es keine neuen Erlebnisse gibt, die Sie davon ablenken können.
    Im Laufe der Jahre konnte ich nach und nach immer tiefer in diesem Zustand des Erinnerns versinken. Irgendwann verschwindet das Gefängnis vollständig, und nur die Welt vor dem geistigen Auge ist noch wichtig. Ich habe viele Namen für diesen Zustand,

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