Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
er erst einen Tag zuvor selbst getan hat. Er ist ein interessantes Anschauungsobjekt. Wie oft habe ich gedacht: » Nie im Leben kann er sich das zurechtlügen. Er muss es akzeptieren. « Aber jedes Mal irre ich mich. Immer zieht er irgendeinen Trick aus seiner Kiste. Man sollte meinen, er lernt aus seinen Fehlern, aber das tut er nie. Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass es nur so funktioniert, denn wahrscheinlich müsste er Selbstmord begehen, wenn er gezwungen wäre, sich lange und gründlich mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Viele von Mudpies Gewohnheiten und Schrullen sind abstoßend, aber manches ist auch komisch. Ich habe schon oft so sehr über ihn lachen müssen, dass ich keine Luft mehr kriegte – einmal beispielsweise gegen Ende 1999, als er seine Vorbereitungen zur Jahrtausendwende traf.
Mudpie hörte nonstop einen Radiosender mit lauter Serien, die sich allesamt um Verschwörungstheorien drehten. Mindestens einmal im Jahr kommt eine Sendung, in der sie behaupten, ein riesiger Asteroid rase geradewegs auf die Erde zu, und an dem und dem Tag werde die gesamte Schöpfung vernichtet werden. Dieser Tag kommt und geht ohne ernsthafte Konsequenzen, aber das hält sie nicht davon ab, ein Jahr später wieder eine solche Story zu senden. Und Mudpie hält es nicht davon ab, jedes Wort als heiliges Evangelium zu akzeptieren. Yeti-Sichtungen, UFO -Abstürze, Entführungen durch Aliens, chinesische Verschwörungen zur Übernahme der Weltherrschaft, etc. – Mudpie kriegte nicht genug davon. Als sie anfingen, den großen Computer-Crash zur Jahrtausendwende zu prophezeien, konnte er von nichts anderem mehr reden. Er trieb uns alle in den Wahnsinn mit seinen dauernden Weltuntergangsprophezeiungen. Wenn der Kalender zum Jahr 2000 umklappte, würden wir in derselben Sekunde alle sterben, sagte er.
Eines Tages bemerkte ich auf dem Weg in den Hof einen großen Stapel vor Mudpies Zelle. Er hatte mehrere Kartons mit Ramen-Nudeln, eine Pyramide Getränkedosen, Schachteln mit Salzcrackern und ungefähr fünfzehn Rollen Klopapier. Er lege ein Vorratslager an, erklärte er, weil wir im Jahr 2000 keine Lebensmittel und kein Wasser mehr bekommen würden. Ich überlegte kurz und fragte dann: » Wenn wir kein Wasser kriegen, womit willst du dann diese ganzen Nudeln kochen? « Er erläuterte mir sein geheimes Rezept: Er würde die Nudeln in » Dr Pepper « -Limonade kochen, über brennendem Klopapier. Diese Zubereitung hatte er schon probiert, um sich beizeiten daran zu gewöhnen. Leider aber erwies sich dieses Feinschmeckerunternehmen als vergebliche Liebesmühe, denn unsere bevorstehende Vernichtung wurde aufgeschoben.
Das Y2K-Debakel war nicht der einzige Hinweis auf Mudpies fragwürdige kulinarische Gewohnheiten. Mudpie ist ein Geizkragen erster Ordnung. Einmal, als er den letzten Rest Erdnussbutter aus einem Glas gegessen hatte, sah ich, wie er heißes Wasser hineinlaufen ließ und es zur Seite stellte. Ich dachte, vielleicht wollte er das Glas ausspülen, um es als Behälter für etwas anderes zu benutzen. Aber nach einer Weile kam er zurück und trank das trübe Wasser, auf dem Erdnussschaum schwamm. Bezahlt war schließlich bezahlt. Andere haben gesehen, dass er das Gleiche mit einer Käsecreme-Flasche tat. Wenn er von da an Streit mit jemandem hatte, schoss sein Widersacher immer mit den Worten zurück: » Wenigstens trinke ich kein Käsewasser. «
Man hat oft gesehen, dass Mudpie etwas trug, das er » Furzmaske « nannte. Diese Apparatismen bastelte er aus Eau-de-Cologne-Proben, die er aus Illustrierten gerissen hatte, und band sie sich mit einem Gummi, das er um die Ohren spannte, vor Mund und Nase. Sie hatten Ähnlichkeit mit OP -Masken. Er trug sie mindestens zweimal in der Woche und atmete den reinen Parfümdunst, weil der Hobo, wie er behauptete, so schlimm furzte, dass er anders keine Luft mehr bekam.
Pornografie ist im Gefängnis mehr wert als Geld. Man kann sie gegen alles eintauschen, was man haben will. Mudpie sammelt Pornografie, um sie den Dealern zu geben, die seine Gewohnheiten befriedigen können. Einmal hatte ich Gelegenheit, seine Kollektion zu sehen, und ich fand sie eher verstörend als erotisch. Auf einem großen Blatt sah man nichts als Reihen um Reihen von Brüsten, und ein anderes war voll mit Vaginen. Ein drittes zeigte lauter After. Keine Köpfe, Arme, Beine – alles war abgeschnitten. Auf meine Nachfrage sagte er, er brauche keinen Ellenbogen zu sehen, um sich » einen runterzuholen «
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