Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
Gesetzes, nicht meine) nicht hingerichtet werden, aber es kommt trotzdem regelmäßig vor. Das ist ebenso traurig wie beängstigend. Traurig ist es, weil viele von ihnen gar nicht begreifen, dass sie im Todestrakt sind, oder was sie erwartet.
Diese Hinrichtungen geistig Behinderter finden statt, während Politiker Reden über ihre Härte gegen das Verbrechen halten. Ich bin noch keinem Mörder begegnet, der über die nötigen geistigen Fähigkeiten verfügte, um das ganze Grauen seiner Tat zu begreifen. Sie sind allesamt emotional nicht weit genug entwickelt, um Mitgefühl zu empfinden. Ihr Leben ist ein Alptraum, und nicht einmal das ist ihnen bewusst. Sie sind der Bodensatz der Menschheit, von Geburt an und aus freien Stücken. Das Gefängnis und die Gefängnismentalität stehen nicht für das, was man der Gesellschaft weisgemacht hat. Diese Menschen können nicht mal für sich selbst sorgen und leiden unter allen nur vorstellbaren Gesundheitsproblemen. Attraktive Mörder gibt es hier nicht. Es ist, als gelinge es der Hässlichkeit in ihnen, ihre Gesichtszüge derart zu verwandeln, dass ihr Äußeres dem Inneren ähnelt. Es gibt keine Gespräche hier. Es wird gedroht, gehöhnt und geschrien, aber ein Gespräch ist eine Unmöglichkeit. Begriffe wie Liebe, Ehre und Selbstachtung sind diesem Ort so fremd wie die französische Cuisine. Ich bin hin- und hergerissen zwischen den Extremen Mitleid und Abscheu.
Das Gefängnissystem unternimmt keinen Versuch, den Geisteskranken zu helfen. Es gibt keine Therapiesitzungen, keine Behandlungen, keine erstklassigen Medikamente. Wenn sie frech werden, stellt man sie mit Thorazin ruhig. Einen Mann, der den Thorazin-Shuffle tanzt, kann man schon auf eine Meile erkennen. Alles, was er tut, dauert zehn Mal länger, als es sollte, weil es ihn herkulische Anstrengung kostet, sich zu bewegen.
Viele Gefangene haben vor allem Angst davor, wahnsinnig zu werden, denn wenn das geschieht, ist alle Hoffnung verloren. Dann ist man nicht nur hinter diesen Mauern eingeschlossen, sondern auch in seinem rapide verfallenden Geist. Hilfe bekommt man nicht, und man kann sich nicht mal mehr um seinen eigenen Fall kümmern und für die Umwandlung des Todesurteils arbeiten. Man sitzt nur noch den ganzen Tag in der Zelle, spielt mit Fäkalien und schreit Phantome an, die niemand sonst sieht. Es ist nicht der Ort, an dem man seinen Verstand verlieren möchte. Wenn man das Gefühl bekommt, die Wände rücken immer näher heran, muss man sofort einen Weg finden, sich da durchzuarbeiten oder das Gefühl abzuschütteln.
Die geistig Zurückgebliebenen im Todestrakt bieten manchmal ein noch schlimmeres Bild als die Wahnsinnigen. Die Handlungen der Schwachsinnigen haben oft etwas sehr Kindliches. Wenn ein solcher Mensch zur Hinrichtung geführt wird, ist das ein Frevel. Es sollte niemals geschehen, aber es geschieht. Manchmal werden sogar unschuldige geistig Behinderte hingerichtet, und das ist eine zweifache Travestie.
Hier war ein Typ mit dem IQ eines Kindes, von dem allgemein bekannt war, dass er das Verbrechen, für das man ihn verurteilt hatte, nicht begangen hatte. Er war hier, weil er die Schuld für etwas auf sich genommen hatte, was sein Bruder getan hatte, und schließlich wurde er auch anstelle seines Bruders hingerichtet. Der Mann war offensichtlich und zweifelsfrei schwachsinnig. Er ernährte sich von Kartoffelchips, Schokoriegeln und Kuchen. Das Geld dafür bekam er von einer Nonne, die ihn ab und zu besuchte. Manchmal kam auch seine Mutter, und weil die beiden nicht wussten, worüber sie reden sollten, legten sie beide den Kopf auf den Tisch und schliefen. Es war herzzerreißend, das mit anzusehen. Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals geduscht hätte. Er hockte einfach stumm in seiner Zelle bis zu dem Tag, an dem er getötet wurde.
Anscheinend sind sich alle darin einig, dass es ein Unrecht ist, geistig Behinderte hinzurichten, aber es passiert immer wieder. Auch jetzt warten hier Schwachsinnige auf ihren Termin. Einer ist dabei, der oft wiederholen muss, was er gesagt hat, weil man ihn nicht versteht. Ein anderer hängt ohne Sinn und Verstand Wörter aneinander und gibt den Leuten Namen wie » Fish More « und » Fuck Bart « . Morgens um vier geht er in seiner Zelle auf und ab und schreit: » Dreht die Daumen! Dreht die Daumen! Ab geht’s! « , und dann folgt ein Strom von Obszönitäten.
Mit einem geistig gesunden Menschen kann man diskutieren und argumentieren, man kann seine
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