Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
ist ein Mann noch da, und am nächsten ist er weg. Man kann kaum glauben, dass jemand, mit dem man noch vor zwei Tagen gesprochen hat, jetzt für immer fort ist. Es sind Männer, mit denen man jahrelang zusammengelebt hat, und jetzt kann man nicht mal zu ihrer Beerdigung, sodass es auch kein Gefühl von Abschied geben kann. Bei den Predigern tritt ein abstoßendes Glitzern in die Augen, wenn eine Hinrichtung bevorsteht. Wie die Fliegen hängen sie vor der Zelle des Verurteilten herum und drohen ihm mit ewiger Verdammnis, wenn er die Konfession, die sie vertreten, nicht kauft. Sie haben erst Zeit für dich, wenn du bald sterben wirst. Vorher bleiben sie nicht mal stehen, um Hallo zu sagen. Viele Gefangene geloben, sie laut zu beschimpfen, wenn sie vor der Hinrichtung an ihrer Zelle aufkreuzen. Ihre Ansicht ist: » Du hattest keine Zeit für mich, als ich noch lebte. Jetzt, da ich sterbe, habe ich keine Zeit für dich. «
Das Schlimmste in den Wochen vor der Hinrichtung sind die Wärter. Man merkt, dass sie drauf stehen, denn es bringt ein bisschen Aufregung in ihren Job. Ein Sprecher der Strafvollzugsbehörde von Arkansas tritt im Fernsehen auf und hält einen Vortrag darüber, wie schwer es für sie ist, aber das sind leere Worte, die einem leichtgläubigen Publikum einreden sollen, wie human sie sind. Die Wahrheit ist, dass die Wärter herumstehen, vorher und nachher, und Witze darüber reißen. Vor der Vollstreckung sind sie sogar noch ein paar Tage lang richtig freundlich zu dem Verurteilten, auch wenn sie ihn bis dahin misshandelt und vernachlässigt haben. Das geschieht aus purer Morbidität. Sie wollen anderen erzählen können, dass sie noch mit dem Toten gesprochen haben.
Manche Gefangenen können nicht behalten, was du nur wenige Stunden vorher zu ihnen oder sie zu dir gesagt haben. Wenn du sie daran erinnerst, behaupten sie, das Gespräch habe nie stattgefunden. Andere sind erwachsene Männer in den Dreißigern und benehmen sich wie niederträchtige Teenager. Ihre geistige Entwicklung (soweit sie stattgefunden hat) war zu Ende, als sie mit Drogen und Alkohol anfingen.
Wenn man sagt, jemand kann seinen Schlamm nicht halten, meint man damit, er hat seinen Darm nicht unter Kontrolle. Jetzt überlasse ich es Ihnen herauszufinden, wie jemand an den Spitznamen » Mudpie « gekommen ist: » Schlammpastete « . Mudpie könnte nicht blinder sein, wenn er mit einer Tüte über dem Kopf herumliefe: Sein größtes Talent ist es, sich selbst zu belügen. Er macht es sich zur Lebensaufgabe, jede Information, die durch seine Sinne geht, zu verzerren. Wenn Selbsttäuschung eine Kunst wäre, dann wäre Mudpie ihr Meister. Er ist der Einzige, den ich kenne, der seine eigenen Nebelkerzen nicht durchschauen kann. Er sagt Dinge, bei denen ihn alle anderen fassungslos anstarren.
Ein Beispiel seines Selbstbetrugs wäre da seine Sucht. Mudpie würde seine Seele für Zigaretten und Marihuana verkaufen. Wenn er weiß, dass jemand im Block so etwas hat, gerät er in Raserei. Er bettelt jeden an und verkauft alles, was er hat, um etwas davon abzukriegen. Er raucht so viel, dass seine ganze Zelle danach stinkt. Ich habe mal mitbekommen, wie er seinem Vater erzählte, er werde demnächst hingerichtet werden, nur damit der Vater ihm Geld schickte. Beim ersten Mal funktionierte das, aber beim zweiten Mal rief der Vater Mudpies Anwalt an und erfuhr von ihm die Wahrheit: Mudpies Hinrichtungstermin stand noch längst nicht fest. Würde irgendjemand, der bei Sinnen ist, für ein paar Zigaretten seinen eigenen Tod faken? Ah, aber Mudpie wird sehr wütend, wenn man ihn als Süchtigen und Junkie bezeichnet, und ständig informiert er alle Welt, er habe » aufgehört « . Das bedeutet aber nur, dass er im Moment nichts auftreiben kann. Wenn man ihn fragt, warum sein Vater nicht mehr mit ihm spricht, behauptet er hartnäckig, er selbst habe den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen, damit sie sich seinetwegen keine Sorgen mehr zu machen brauchten. Und er zwingt sich selbst, es zu glauben. Die Widersprüche in seinem Handeln sieht er nicht – dass er ihnen nämlich niemals ein erfundenes Hinrichtungsdatum genannt hätte, wenn er wirklich nicht wollte, dass sie sich Sorgen machten.
Mudpie ist bekannt dafür, in eine lange Predigt über die Sinnlosigkeit von Gewalt zu verfallen, um kurz darauf einen Mithäftling mit dem Tod zu bedrohen, weil der den Fernseher umschalten wollte. Mindestens einmal täglich verurteilt er jemanden für etwas, das
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