Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
Beweggründe erkennen und seine Handlungen vorhersagen. Ein Verrückter dagegen wird möglicherweise versuchen, dich umzubringen, weil es Gottes Wille ist. Wie Nu-Nu.
Die Androhung von Gewalt schwebt über Nu-Nu wie eine schwarze Wolke. Einen wie ihn will man nicht unter seinem Dach schlafen lassen oder hinter sich wissen. Wenn es je einen klaren Fall von Schizophrenie gegeben hat, dann ist er es. Nu-Nu hat in einem Waschsalon einen Mann erschossen. Als die Polizei kam, fand sie die Videoaufnahme einer Überwachungskamera, auf der Nu-Nu einen Breakdance um den Toten herum aufführte. Oft bin ich morgens um zwei geweckt worden, weil Nu-Nu aus voller Lunge schreit. Er behauptet, die Pfleger im Gefängniskrankenhaus trinken sein Blut und scheißen in sein Essen. Der ganze Block hat schon zugehört, wie er sich stundenlang mit seinem Spiegelbild stritt und drohte, es umzubringen. Dann hört er damit auf und fängt an, in sehr ruhigem Tonfall zu predigen, und er weist seine Gemeinde an: » Schlagt das Buch der Psalmen auf und haltet es neben euer linkes Ei. «
Andere sind nicht minder wahnsinnig, aber harmloser. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie irgendwann jemanden ermordet haben, aber der Drang zum Töten ist mit ihren Opfern gestorben. Jetzt sind sie nur noch ausgebrannte Irre.
Wir haben einen Typen hier, der mit dem Spitznamen » Patches « – Flecken – geschlagen ist. Patches kann seinen Namen nicht ausstehen und würde genüsslich jeden umbringen, der ihn benutzt. Wenn man ihn mit diesem Namen anredet, funkelt er einen mit reinem, unverdünntem Hass im Blick an. Er heißt so, weil er exakt die gleiche Frisur hat wie George Jefferson in der alten Sitcom The Jeffersons – einen Afro an den Seiten und oben nichts. Jemand wies mal darauf hin, dass ihm fleckenweise Haar fehlte, und der Name blieb hängen. Patches war geboren.
Patches ist keiner, den man zum Freund haben möchte. Er gibt sich alle Mühe, Ärger zu machen, wo er kann. Er ist der Typ, der den Fernsehkanal wechselt, weil er weiß, dass du etwas sehen willst. Er tut, als telefonierte er, damit du es nicht kannst. Um es schlicht zu sagen: Patches ist ein Arschloch. Niemand bleibt sehr lange in der Zelle neben seiner, denn man entwickelt sehr schnell Abneigung gegen ihn und tut, was man kann, um verlegt zu werden. Patches liebt nichts so sehr wie das Missgeschick anderer, und nur dabei kann man ihn lachen hören.
Patches hat eine – selbst nach Gefängnismaßstäben – ziemlich interessante Sammlung, und was die betrifft, ist er ziemlich eigen. Wenn du ihn danach fragst, ohne dass jemand anders mithört, zeigt er sie dir. Redest du davon, wenn andere dabei sind, wird er bestreiten, dass diese Sammlung existiert, und dich für den Rest des Tages beschimpfen. Das Komische ist, dass jeder sie irgendwann schon mal gesehen hat und deshalb weiß, dass Patches lügt, wenn er ihre Existenz leugnet. Wer ihn ärgern will, schreit quer durch den Trakt und fragt danach. Mindestens halb so wütend wird er, wenn jemand den alten Schlager aus den Siebzigern singt: » Patches, I’m depending on you, son. «
Und was genau sammelt Patches? Transen-Pornos. Patches sammelt Pornografie mit so farbenfrohen Titeln wie » Chicks with Dicks « – » Miezen mit Schwänzen « . Er hortet sie nicht nur wie einen kostbaren Schatz, er bastelt auch Pop-up-Bücher daraus, die raffiniert als Geburtstagskarten getarnt sind. Er bewacht die Sammlung wie ein Fort Knox der Perversionen und glaubt anscheinend, jeder sei scharf darauf, ihm die Früchte seiner harten Arbeit zu stehlen. Man muss wissen, dieser Schatz von Transen-Pop-up-Pornos ist interaktiv. Er blättert in Pornoheften und sucht Penisbilder. Mit einem Rasiermesser schneidet er die Penisse sorgfältig aus, und dann schneidet er Schlitze in die Bilder seiner halb männlichen, halb weiblichen Pornodarsteller, sodass er den Penis in den Schlitz schieben und hin und her bewegen kann. Es ist ziemlich verstörend, aber man kann nicht bestreiten, dass Patches ein Mann ist, der weiß, was ihm gefällt.
So sonderbar und unangenehm Patches auch sein mag, gibt es doch etliche hier, die zu ihm passen. Ein Prachtexemplar dieser betrüblichen Spezies ist J.C.
Ich habe J.C. zum ersten Mal bemerkt, als ich ein paar Monate hier war und in eine Zelle im zweiten Stock verlegt wurde. Ich konnte ihn nicht ansehen, ohne an eine Vogelscheuche zu denken, und er hatte große Ähnlichkeit mit Iggy Pop. Er hatte langes graues Haar und war
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