Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damien Echols
Vom Netzwerk:
Geruch, den er an der Sprechmuschel hinterlassen hatte, musste ich würgen. Ich habe sie ein paar Minuten lang mit Wasser und Seife abgewaschen, aber der Geruch ging nicht weg. Schließlich habe ich billiges Eau de Cologne darübergegossen. Aber man hat ihn schon sagen hören: » Ich trinke keinen Kaffee, weil mein Zahn sonst fleckig wird. «
    Chuckles stinkt nicht nur aus dem Mund. Er vermeidet chronisch sämtliche Formen der Reinlichkeit. Er ist der einzige Mensch auf der Welt, der nach dem Duschen schlimmer stinkt als vorher. Er wäscht sich überhaupt nicht, er spritzt nur ein bisschen herum und versucht, sich mit anderen Leuten zu unterhalten. Die Wärter streiten sich immer, wer ihn begleiten muss, denn keiner will in seine Nähe kommen.
    Chuckles kam in den Todestrakt, nachdem er zwei alte Ladys mit dem Beil erschlagen hatte. Andere Häftlinge trieben ihn mit Beilen aus Bastelpapier zur Raserei. Sie fuchtelten damit herum und schrien mit der Stimme einer alten Frau: » Nein, Chuckles! Bitte bring mich nicht um! Du kommst wegen Mordes vor Gericht! « Chuckles geriet dann außer sich vor Wut und stieß wüste Drohungen aus.
    Chuckles und der Hobo hatten im Laufe der Jahre mehr als einen Streit, und bei ihren Auseinandersetzungen bewarfen sie sich meistens mit Fäkalien und Urin. Ich habe einmal erlebt, wie der Hobo einen Kaffeebecher voll Urin in Chuckles’ Gesicht schleuderte, und Chuckles machte sich danach nicht mal die Mühe, sich zu waschen. Er trocknete sich das Gesicht einfach mit einem Handtuch ab und machte weiter, als wäre nichts gewesen.
    Männer, die Dreck züchten, sind im Gefängnis ziemlich alltäglich. Ihre Rechtfertigung lautet: » Ich gehe so bald nirgendwohin – also, wozu die Umstände? « Man nennt sie entweder Barbaren oder Wikinger. Die Wikinger sind schon derb, aber die Barbaren haben jeden Anschein menschlicher Zivilisation aufgegeben.
    Jeden Tag werden Männer bestimmt, die auf dem Feld arbeiten müssen. Von Tagesanbruch bis zum Abendessen schwingen sie die Hacke, und wenn sie zurückkommen, sind sie verschwitzt, dreckig und lehmverschmiert. Ein Wikinger zieht sich aus und geht schlafen, ohne zu duschen. Aber ein Barbar … ein Barbar geht sofort ins Bett, ohne auch nur die lehmigen Stiefel auszuziehen. Einen Barbaren riecht man noch in der Nachbarzelle, das weiß ich aus erster Hand. Ich habe einmal ungefähr drei Monate lang neben einem Barbaren gewohnt. Ich konnte nicht mal am Gitter sitzen, um fernzusehen, ohne mir einen Waschlappen vor Mund und Nase zu halten. Dieser spezielle Barbar hatte sich sogar die Zähne ziehen lassen, um der Formalität des Putzens aus dem Weg zu gehen. Ein Gebiss sollte ihm diese Mühe ersparen. Was ich allerdings am merkwürdigsten fand, war sein Beharren darauf, dass er nicht stinke – obwohl jeder im Block ihm etwas anderes sagte.
    Ich hatte das Pech, auch einmal neben einem anderen Barbaren zu wohnen, den alle » Big Blue « nannten. Dieser Name bezog sich darauf, dass er tagaus, tagein dieselbe Unterhose trug, bis sie eine schmuddelige, bläulichgraue Farbe angenommen hatte. Tatsächlich war es nicht mal eine normale, sondern eine lange Unterhose, die er über den Knien abgeschnitten hatte. Nach einem Jahr war es nur noch ein zerlumpter Fetzen mit lauter Löchern und Fransen. Aber anders als Chuckles oder der Barbar hatte Big Blue eine triftige Ausrede: Er war komplett verrückt.
    Ich bemerkte, dass er jeden Morgen die Nachrichten guckte, und zwar so konzentriert wie eine Katze, die vor einem Mauseloch sitzt. Er vertraute mir dann an, dass es gar nicht die Nachrichten waren, was er da anschaute, sondern die Zeit- und Temperaturangaben in der Ecke des Bildschirms. Er wandte den Blick nicht von den kleinen Ziffern, weil er glaubte, dass ihm da eine geheime Botschaft übermittelt wurde. Wer ihm diese Botschaften schickte? Das waren » sie « . Konkreter konnte oder wollte er sich nicht ausdrücken, und er sprach auch nicht ausführlicher über den Inhalt dieser Botschaften. Ich muss zugeben, dass ich, nachdem er mir davon erzählt hatte, unwillkürlich immer wieder in die Ecke des Bildschirms schaute, als müsste ich sichergehen, dass da nur Ziffern zu sehen waren.
    Ich lebe mit Männern zusammen, die seit Jahren keine Verbindung zur Realität mehr gehabt haben. Die Wahrheit ist, dass im Todestrakt der Wahnsinn grassiert, und der Schwachsinn ebenfalls. Nach dem Gesetz dürfen Geisteskranke und geistig Behinderte (das ist die Terminologie des

Weitere Kostenlose Bücher