Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
die meisten waren schlecht gelaunt und blafften jeden an, der ihnen zu nahe kam. Irgendwie hatte sich der Bodensatz der Gesellschaft in diesem einen Bus versammelt. Ich saß in einem übel riechenden, schlecht gelaunten Greyhound aus der Hölle.
Ich setzte mein finsterstes Gesicht auf und hoffte, damit jeden zu verscheuchen, der sich versucht fühlen konnte, neben mir Platz zu nehmen. Es schien zu klappen. Niemand hatte Lust, neben einer düsteren Kreatur in schwarzen Lederklamotten und mit ungekämmten Haaren zu sitzen.
Die ganze magische Reise dauerte fünf zauberhafte Tage. Wir hielten hauptsächlich an Tankstellen und bei Minisupermärkten, wo man sich Proviant kaufen konnte, und dann fuhren wir gleich weiter. Ich ernährte mich von Chips und Softdrinks und gelegentlich einem Sandwich. Manchmal hielten wir zum Frühstück bei McDonald’s, aber da ging ich nie mit hinein. Ich blieb immer in der Nähe des Busses, weil ich Angst hatte, er könnte ohne mich weiterfahren.
Am zweiten oder dritten Tag ließ ich mich widerstrebend in ein Gespräch mit zwei anderen Gentlemen verwickeln, die an der letzten Haltestelle zugestiegen waren. Der eine war jung, nur neunzehn oder zwanzig Jahre alt, und der andere schien um die fünfzig zu sein, aber Schichten von Fett und Straßenstaub erschwerten eine genauere Aussage. Der Jüngere hatte langes schwarzes Haar und trug eine Lederjacke mit einem Airbrush-Porträt von Madonna auf dem Rücken. Er sprach mit sanfter, leiser Stimme und rauchte eine Nelkenzigarette nach der anderen, wenn der Bus anhielt. Die Stimme des Alten klang laut und unangenehm. Er hatte fettiges graues Haar und trug eine abgeschnittene Jogginghose und ein dreckiges blaugrünes Hemd. Sie waren zusammen unterwegs und wollten mich überreden, mich mit ihnen einem Jahrmarkt anzuschließen, der von Staat zu Staat reiste. Sie redeten ohne Unterbrechung davon, wie viel Ruhm und Reichtum ich erwerben könnte, wenn ich mich entschließen wollte, diesen noblen Beruf zu ergreifen. Ich dankte ihnen, lehnte ihren Vorschlag aber ab, da ich, wie ich erklärte, einen lukrativeren Job in der Pornoindustrie erwartete. Irgendwo zwischen Oregon und Missouri verschwanden sie, und ich setzte die Reise allein fort.
Den längsten Aufenthalt hatten wir in St. Louis, wo ich sechs Stunden verbrachte. Ich verließ den Busbahnhof, um mich ein bisschen umzusehen, und stolperte über eine außergewöhnlich große Zahl von zweifelhaften Individuen. Ein alter Mann, der aussah, als sei er aus einer Intensivstation geflüchtet, versuchte mir Drogen zu verkaufen, als ich noch keine drei Schritte aus dem Bahnhof getan hatte. In dieser Gegend sollte man sich nach Einbruch der Dunkelheit auf keinen Fall blicken lassen, und da es schnell Abend wurde, zog ich mich hastig in den Busbahnhof zurück. Die restliche Zeit verbrachte ich im Gespräch mit einem Typen aus Deutschland, der in die Vereinigten Staaten gekommen war, um seinen Vater zu suchen.
Die Staatsgrenze von Arkansas überquerten wir irgendwann zwischen zwei und drei Uhr morgens, aber ich konnte noch nicht glauben, dass ich wieder dort war. Halb war ich sicher gewesen, dass dieser Ort gar nicht mehr existierte, dass er nach meiner Abreise einfach verschwunden war. Ich schaute aus dem Fenster in die Dunkelheit und dachte immer nur: Ich bin wieder da, ich bin wieder da, ich bin wieder da, und ich projizierte diesen Gedanken hinaus in die Nacht. Es war Samstagmorgen, und alle anderen Fahrgäste schliefen. Ich konnte nicht mehr stillsitzen. Jede Landmarke, die ich erkannte, vergrößerte meine Aufregung. Als wir an dem Friedhof vorbeifuhren, auf dem mein Großvater beerdigt war, musste ich meine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um dem Busfahrer nicht zu befehlen: » Ich muss sofort aussteigen! Lassen Sie mich raus ! «
Bei Sonnenaufgang erreichten wir den Busbahnhof. Niemand rührte sich; ich war der Einzige, der hier ausstieg. Ich holte meinen Koffer aus dem Gepäckabteil und schaute mich um. Alles sah noch genauso aus wie bei meiner Abreise.
VIERZEHN
Keine zehn Minuten, nachdem ich in West Memphis aus dem Bus gestiegen war, hielt die Polizei mich an.
Niemand war da, um mich abzuholen, und deshalb musste ich mit meinem Koffer zu Fuß gehen. Von allen, die ich kannte, war Domini am nächsten, und sie wohnte ungefähr drei Meilen weit entfernt. Vielleicht würde ich meinen Koffer bei ihr lassen können, während ich mir eine Bleibe suchte. Also machte ich mich auf den Weg zu ihr.
Als
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