Mein Leben Ohne Gestern
Negativkontrolle. Heute war sie der Gegenstand der Untersuchung.
Das Abmalen, Erinnern, Anordnen und Benennen nahm fast zwei Stunden in Anspruch, und wie die Studenten, an die Alice denken musste, war sie erleichtert, als sie mit allem fertig war, und durchaus zuversichtlich hinsichtlich ihrer Leistung. Begleitet von der Neuropsychologin, betrat Alice Dr. Davis’ Sprechzimmer und nahm auf einem der beiden Stühle Platz, die nebeneinander vor seinem Schreibtisch standen. Er nahm den frei bleibenden Stuhl neben ihr mit einem enttäuschten Seufzer zur Kenntnis. Noch bevor er das Wort ergriff, wusste sie schon, dass sie Ärger bekommen würde.
»Alice, haben wir beim letzten Mal nicht gesagt, dass Sie hierher künftig von jemandem begleitet werden sollen?«
»Doch, das haben wir.«
»Okay, in dieser Abteilung ist es vorgeschrieben, dass jeder Patient von jemandem begleitet wird, der ihn kennt. Ich werde Sie nicht richtig behandeln können, wenn ich kein exaktes Bild davon habe, was überhaupt los ist, und ich kann mir nicht sicher sein, dass ich diese Informationen ohne die Anwesenheit einer solchen Person bekomme. Also, Alice, nächstes Mal keine Ausreden mehr. Sind Sie damit einverstanden?«
»Ja.«
Nächstes Mal. Jede deutliche Erleichterung und Zuversicht, die sie aus ihrer selbst bewerteten Kompetenz in den neuropsychologischen Tests gewonnen hatte, verpuffte.
»Mir liegen jetzt alle Ergebnisse Ihrer Untersuchungen vor, sodass wir alles besprechen können. Ihr MRT hat, soweit ich sehen kann, keine Auffälligkeiten ergeben. Keine zerebrale Gefäßerkrankung, kein Hinweis auf irgendwelche kleinen, stillen Schlaganfälle, kein Hydrozephalus und keine Verklumpungen. Das sieht alles sehr gut aus. Ihr Blutbild und die Lumbalpunktion sind ebenfalls negativ ausgefallen. Ich habe alles genauestens abgeklopft und nach jeder möglichen Erkrankung gesucht, die für die Art Symptome, die Sie haben, verantwortlich sein könnte. Daher wissen wir nun, dass Sie nicht an HIV, Krebs, einem Vitaminmangel, einer mitochondrialen Erkrankung oder einer Reihe anderer seltener Krankheiten leiden.«
Seine Rede war gut aufgebaut, offensichtlich nicht die erste dieser Art, die er hielt. Was sie hatte, würde erst am Ende kommen. Sie nickte, gab ihm zu verstehen, dass sie ihm folgen konnte und er fortfahren sollte.
»Bei Ihrer Fähigkeit zur Aufmerksamkeit, bei Dingen wie dem abstrakten Denken, dem räumlichen Vorstellungsvermögen und der Sprachfertigkeit lagen Sie im neunundneunzigsten Perzentil. Aber ich sehe bedauerlicherweise Folgendes. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist in einer Weise beeinträchtigt, die in keinem Verhältnis zu Ihrem Alter steht und die eine deutliche Verschlechterung gegenüber Ihrer bisherigen Funktionsfähigkeit bedeutet. Das weiß ich nach Ihren eigenen Schilderungen der Probleme, die Sie in letzter Zeit haben, und des Ausmaßes, in dem sie in letzter Zeit Ihr Berufsleben beeinträchtigen. Außerdem habe ich es selbst erlebt, als Sie letztes Mal die Adresse nicht mehr nennen konnten, an die Sie sich erinnern sollten. Und auch wenn Sie in den meisten kognitiven Bereichen heutesehr gut abgeschnitten haben, hatten Sie doch bei zwei der Aufgaben, die mit dem Kurzzeitgedächtnis zusammenhingen, eine hohe Variabilität aufzuweisen. Um genau zu sein, lagen Sie in einem Fall nur im sechzigsten Perzentil.
Wenn ich all diese Informationen insgesamt betrachte, Alice, dann denke ich, dass Sie die Kriterien dafür erfüllen, vermutlich an der Alzheimer-Krankheit zu leiden.«
Alzheimer-Krankheit.
Die Worte verschlugen ihr den Atem. Was genau hatte er ihr gerade eben gesagt?
Sie wiederholte seine Worte im Kopf. Vermutlich . Das gab ihr die Willenskraft, tief Luft zu holen, gab ihr die Fähigkeit zu sprechen.
»Aber ›vermutlich‹ heißt, dass ich die Kriterien vielleicht auch nicht erfülle.«
»Nein, wir verwenden das Wort ›vermutlich‹, da die einzige eindeutige Diagnose für die Alzheimer-Krankheit im Augenblick darin besteht, das Gehirngewebe histologisch zu untersuchen, was entweder eine Autopsie oder eine Biopsie erfordert. Beides keine guten Optionen für Sie. Es ist eine klinische Diagnose. In Ihrem Blut ist kein Demenzprotein vorhanden, das uns sagen kann, dass Sie Alzheimer haben, und eine in einem MRT erkennbare Gehirnatrophie würden wir erst in einem weitaus späteren Stadium der Krankheit erwarten.«
Gehirnatrophie.
»Aber das kann doch nicht sein, ich bin erst fünfzig.«
»Sie haben die früh
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