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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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wie Maiskörner auf einem heißen Herd. Sobald das erste geplatzt war, würde der Rest folgen, aber niemand wusste, welches als Erstes oder wann genaues platzen würde. Die formale Vorschrift in Harvard verlangte von den Studenten, zwanzig Minuten auf einen unpünktlichen Professor zu warten, bevor ein Kurs offiziell ausfiel. Ohne Angst davor, als Erste zu gehen, klappte Alice ihr Notizbuch zu, steckte die Kappe auf ihren Stift und stopfte alles in ihre Büchertasche. 10.21 Uhr. Lange genug.
    Als sie sich zum Gehen wandte, sah sie die vier Mädchen an, die hinter ihr saßen. Sie sahen alle zu ihr hoch und lächelten, vermutlich dankbar, dass sie ihnen den Druck abnahm und sie befreite. Sie hielt ihr Handgelenk hoch, zeigte ihnen die Zeit als unwiderlegbaren Beweis.
    »Ich weiß ja nicht, wie’s euch geht, aber ich habe Besseres zu tun.«
    Sie ging die Treppe hoch und verließ den Hörsaal durch die hinteren Türen, ohne sich noch einmal umzudrehen.

    Sie saß in ihrem Büro und sah zu, wie sich der glitzernde Berufsverkehr über den Memorial Drive schob. An ihrer Hüfte vibrierte es. Es war acht Uhr. Sie nahm ihren Blackberry aus ihrer himmelblauen Anna-Williams-Tasche, einem Geburtstagsgeschenk von Lydia.
     
    Alice, beantworte die folgenden Fragen:
     
    Welchen Monat haben wir?
    Wo wohnst du?
    Wo ist dein Büro?
    Wann ist Annas Geburtstag?
    Wie viele Kinder hast du?
     
    Wenn du Probleme damit hast, eine dieser Fragen zu beantworten, dann geh zu der Datei mit dem Namen »Schmetterling« aufdeinem Computer, und folge unverzüglich den dortigen Anweisungen.
     
    Mai
    34 Poplar Street, Cambridge, MA 02138
    William James Hall, Raum 1002
    14. September 1977
    drei

JUNI 2004
    Eine eindeutig ältere Frau mit leuchtend rosa Fingernägeln und Lippen kitzelte ein kleines, vielleicht fünfjähriges Mädchen, vermutlich ihre Enkelin. Beide schienen sich köstlich zu amüsieren. Die Werbeschlagzeile lautete: Die allerbeste Oma auf der Welt nimmt die allerbeste Alzheimer-Arznei der Welt . Alice hatte im Boston Magazine geblättert, aber sie war außerstande, diese Seite umzublättern. Hass auf diese Frau und diese Anzeige loderte in ihr auf. Aricept kann helfen, das Fortschreiten von Alzheimer-Symptomen wie Gedächtnisverlust zu verlangsamen. Es kann den betroffenen Menschen helfen, länger sie selbst zu sein . Sie betrachtete das Bild und die Worte, wartete darauf, dass ihr Verstand begriff, was ihr Bauchgefühl ihr bereits sagte, aber bevor sie sich klarmachen konnte, warum sie sich so persönlich angegriffen fühlte, öffnete Dr. Moyer die Tür zu ihrem Sprechzimmer.
    »Nun, Alice, Sie sagen, Sie leiden unter Schlafproblemen. Dann erzählen Sie mir doch einmal, was los ist.«
    »Ich brauche weit über eine Stunde, um einzuschlafen, und dann wache ich für gewöhnlich ein paar Stunden später wieder auf, und alles fängt wieder von vorne an.«
    »Leiden Sie zur Schlafenszeit unter Hitzewallungen oder körperlichem Unwohlsein?«
    »Nein.«
    »Welche Medikamente nehmen Sie?«
    »Aricept, Namenda, Lipitor, Vitamin C und E und Aspirin.«
    »Na ja, Schlaflosigkeit kann leider eine Nebenwirkung von Aricept sein.«
    »Okay, aber das Aricept werde ich nicht absetzen.«
    »Sagen Sie mir, was Sie tun, wenn Sie nicht einschlafen können.«
    »Meistens liege ich einfach nur da und mache mir Sorgen. Ich weiß, dass das alles noch viel schlimmer werden wird, aber ich weiß nicht, wann, und ich mache mir Sorgen, ich könnte einschlafen und am nächsten Morgen aufwachen und nicht mehr wissen, wo ich bin oder wer ich bin oder was ich tun soll. Ich weiß, es ist irrational, aber ich habe diese Vorstellung, dass die Alzheimer-Krankheit meine Gehirnzellen nur töten kann, wenn ich schlafe, und dass ich, solange ich wach bin und sozusagen aufpasse, dieselbe bleiben werde. Ich weiß, dass es diese ganze Angst ist, die mich wach hält, aber ich bin einfach machtlos dagegen. Sobald ich nicht einschlafen kann, fange ich an, mir Sorgen zu machen, und dann kann ich nicht einschlafen, weil ich mir Sorgen mache. Es erschöpft mich, Ihnen auch nur davon zu erzählen.«
    Was sie sagte, stimmte nur zum Teil. Sie machte sich tatsächlich Sorgen. Aber schlafen konnte sie wie ein Baby.
    »Überkommen Sie diese Ängste auch zu anderen Tageszeiten?«, fragte Dr. Moyer.
    »Nein.«
    »Ich könnte Ihnen ein SSRI verschreiben.«
    »Ich will kein Antidepressivum nehmen. Ich bin nicht depressiv.«
    Tatsächlich war sie vielleicht doch ein bisschen depressiv. Bei ihr

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