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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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hatten, kamen von einer Frau, die beim Essen sang, während ihre innere Nadel immer wieder auf dieselbe Strophe von By the light of the silvery moon sprang. Niemand protestierte oder applaudierte.
     
    By the light of the silvery moon.
     
    »Wie Sie sich schon denken können, ist das hier unser Ess- und Gemeinschaftsraum. Die Bewohner nehmen hier jeden Tag zur selben Zeit ihr Frühstück, Mittag- und Abendessen ein. Eine feste Routine ist wichtig. Hier finden außerdem die Aktivitäten statt. Es gibt Bowling und Bohnensäckchen-Werfen, Quizspiele, Tanzen und Musik und Handwerken. Heute Morgen haben sie diese entzückenden Vogelhäuschen gebastelt. Und wir haben jemanden, der ihnen jeden Tag die Zeitung vorliest, um sie über das aktuelle Zeitgeschehen auf dem Laufenden zu halten.«
     
    By the light
     
    »Unsere Bewohner haben hier jede Menge Möglichkeiten, sich körperlich und geistig so weit wie möglich in Form zu halten und zu beschäftigen.«
     
    of the silverty moon .
     
    »Familienangehörige und Freunde sind jederzeit willkommen, um an den Aktivitäten teilzunehmen, und sie können ihren Liebsten zu jeder Mahlzeit Gesellschaft leisten.«
    Abgesehen von Harold sah sie keine anderen Liebsten. Keine anderen Ehemänner oder Ehefrauen, keine Kinder oder Enkelkinder, keine Freunde.
    »Außerdem verfügen wir hier über hoch qualifiziertes medizinisches Personal, falls einige unserer Bewohner je zusätzliche Pflege benötigen sollten.«
     
    By the light of the silvery moon.
     
    »Haben Sie hier auch Bewohner, die jünger als sechzig sind?«
    »Oh nein, ich glaube, unsere jüngste ist siebzig. Das Durchschnittsalter beträgt etwa zweiundachtzig,dreiundachtzig. Unter Sechzigjährige mit Alzheimer sieht man nur sehr selten.«
     
    Im Augenblick sehen Sie eine vor sich, Lady.
     
    By the light of the silvery moon.
     
    »Wie viel kostet das alles denn?«
    »Ich kann Ihnen am Ausgang ein Informationspaket mitgeben, wenn Sie wollen. Der Pflegesatz auf der Alzheimer-Pflegestation beläuft sich seit Januar auf zweihundertfünfundachtzig Dollar pro Tag.«
    Sie rechnete es rasch durch. Etwa einhunderttausend Dollar im Jahr. Multipliziert mit fünf, zehn, zwanzig Jahren.
    »Haben Sie sonst noch irgendwelche Fragen?«
     
    By the light .
     
    »Nein danke.«
    Sie folgte der Frau, ihrer Fremdenführerin, zurück zu der versperrten Doppeltür und sah zu, wie sie den Code eintippte.
    0791925.
    Sie gehörte nicht hierher.

    Es war ein einzigartiger Tag in Cambridge, die Art mythischer Tag, von dem Neuengländer träumten, an dessen wahrer Existenz sie aber jedes Jahr irgendwann zweifelten – ein sonniger, warmer Frühlingstag von fast fünfundzwanzig Grad. Ein Frühlingstag mit einem strahlend blauen Himmel, an dem man endlich keinen Mantel mehr brauchte. Ein Tag, den man nicht damit verschwenden sollte, in einem Büro zu sitzen, schon gar nicht, wenn man Alzheimer hatte.
    Vom Yard aus ging sie ein paar Blocks in südöstlicher Richtung zu Ben & Jerry’s, mit einem aufgeregten Kribbeln im Bauch, wie ein junges Mädchen, das die Schule schwänzt.
    »Ich nehme drei Kugeln Erdnussbutter-Schokoladen-Eis in einer Waffel, bitte.«
    Verdammt, ich nehme Lipitor.
    Sie nahm ihre riesige, schwere Eiswaffel entgegen, als sei sie ein Oscar, bezahlte mit einem Fünfdollarschein, warf das Wechselgeld in den College-Spendenbecher und schlenderte weiter in Richtung Charles River.
    Sie war schon vor vielen Jahren auf gefrorenen Joghurt umgestiegen, eine angeblich gesündere Alternative, und hatte ganz vergessen, wie köstlich und sahnig und einfach himmlisch Eiscreme schmeckte. Sie dachte über das nach, was sie soeben im Pflegeheim Mount Auburn Manor gesehen hatte, während sie ihr Eis schleckte und weiterschlenderte. Sie brauchte einen besseren Plan, einen, der nicht vorsah, mit Evelyn auf der Alzheimer-Pflegestation Bohnensäckchen zu werfen. Einen, der John kein Vermögen kostete, um eine Frau am Leben zu erhalten und in Sicherheit zu wissen, die ihn nicht mehr erkannte und die er – in dem, was den größten Teil von ihr ausmachte – ebenfalls nicht mehr erkannte. Sie wollte nicht länger hier sein, wenn die Belastungen, emotional und finanziell, jeden Nutzen eines weiteren Daseins deutlich überwogen.
    Sie machte Fehler und mühte sich ab, um sie auszugleichen, aber sie war sich sicher, dass ihr IQ noch immer mindestens eine Standardabweichung über dem Mittelwert lag. Und Leute mit einem durchschnittlichen IQ nahmen sich nicht das

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