Mein Leben ohne Limits
konnte. „Kannst du die Tür zumachen?“, fragte ich sie beim Hinausgehen. Dann tauchte ich mit den Ohren unter Wasser. In der Stille wälzten sich mir schwere Gedanken durch den Kopf. Ich hatte alles vorausgeplant.
Wenn Gott mir nicht helfen will und mein Leben keinen Sinn hat … Wenn ich immer nur anders und einsam sein soll … die ewige Last und ohne Zukunft … dann bringe ich es hier und jetzt zu Ende.
Wie ich schon erklärt habe, kann ich auf dem Rücken im Wasser liegen, wenn ich die Luft anhalte. Nun versuchte ich abzuschätzen, wie sehr ich ausatmen musste, bevor ich mich auf den Bauch drehte. Sollte ich die Luft anhalten und mich umdrehen? Sollte ich tief einatmen oder nur flach? Oder einfach kräftig ausatmen und dann los?
Irgendwann machte ich einfach eine Seitwärtsrolle und brachte das Gesicht unter Wasser. Instinktiv hielt ich die Luft an. Weil ich gute Lungen habe, blieb mein Körper an der Wasseroberfläche. Ich harrte aus.
Als mir die Luft ausging, drehte ich mich zurück.
Ich kann das nicht.
Die düsteren Gedanken pochten aber weiter: Ich will nicht mehr. Ich will einfach nur weg sein.
Also atmete ich fast völlig aus und rollte zurück auf den Bauch. Mindestens zehn Sekunden konnte ich die Luft anhalten, das wusste ich. Ich zählte rückwärts. 10 … 9 … 8 … 7 … 6 … 5 … 4 … 3 …
Plötzlich schoss mir ein Bild durch den Kopf. Mom und Dad standen weinend an meinem Grab. Mein siebenjähriger Bruder Aaron stand daneben und weinte auch. Allen flossen die Tränen und ich hörte, wie sie schluchzend sagten, dass es ihr Fehler gewesen sei. Wenn sie doch nur mehr für mich getan hätten.
Der Gedanke war nicht zu ertragen. Ich konnte ihnen meinen Tod nicht aufbürden.
Egoist.
Mit einem Ruck drehte ich mich wieder um und atmete tief ein. Ich konnte es nicht. Ich konnte meine Familie nicht mit diesem Verlust und derartigen Schuldgefühlen belasten.
Der Schmerz blieb. Er war unerträglich. Abends im Bett sagte ich zu Aaron, „Ich werde Selbstmord begehen, wenn ich einundzwanzig bin.“
Mit letzter Kraft wollte ich die Schule und vielleicht noch das Studium durchstehen, aber darüber hinaus sah ich keine Zukunft. Ich konnte mir nicht vorstellen, einen Beruf zu finden oder zu heiraten. Welche Frau würde so jemanden wie mich wollen? Einundzwanzig war das Ende meiner Fahnenstange. In meinem Alter klang das natürlich auch noch sehr weit weg.
„Das sage ich Dad“, antwortete mein kleiner Bruder.
Ich verbot es ihm und schloss die Augen. Das Nächste, was ich spürte, war das Gewicht meines Vaters, der sich auf mein Bett setzte.
„Was habe ich da gehört? Du willst Selbstmord begehen?“, fragte er. Mit warmer, weicher Stimme sprach er mit mir über alles, was mich im Leben noch Gutes erwartete. Dabei fuhr er mir mit den Fingern durch die Haare. Ich mochte es, wenn er das tat.
„Wir sind immer für dich da, mein Kleiner“, versicherte er mir. „Alles wird gut. Ich verspreche dir, ich bin immer da, wenn du mich brauchst. Es wird alles gut, Nick.“
Manchmal genügen eine liebevolle Berührung und ein fürsorglicher Blick, um ein aufgewühltes und ängstliches Kind zu beruhigen. Dass mein Vater mir versicherte, alles würde gut werden, reichte für mich in diesem Moment. Seine beruhigende Stimme und das Streicheln überzeugten mich davon, dass er schon einen Weg für mich finden würde. Jeder Sohn möchte seinem Vater vertrauen, und meiner setzte an diesem Abend für mich einen Anker, an dem ich festhalten konnte. Es gibt nichts Besseres als das Versprechen eines Vaters! Mein Dad war gut darin, seine Liebe und Unterstützung auszudrücken. Ich wusste zwar noch immer nicht, wie mein Leben gelingen sollte, aber weil mein Dad davon überzeugt war, war ich es nun auch.
Nach unserem kleinen Gespräch schlief ich tief und fest. Ab und zu hatte ich natürlich noch schlechte Tage und schlimme Nächte. Aber ich vertraute meinen Eltern, bis ich selbst zu erahnen begann, wie mein Leben sich entwickeln könnte. Zweifel gab es immer noch genug und ich hatte auch Phasen mit großer Angst, aber einen Tiefpunkt wie an jenem Abend gab es nicht noch mal. Auch heute bin ich wie jeder Mensch mal gut, mal weniger gut drauf, aber Selbstmord ist nie wieder eine Option für mich gewesen. Wenn ich an den Abend zurückdenke und meine Entwicklung danach Revue passieren lasse, kann ich Gott und meinem Vater nur dankbar sein, dass sie mich durch den Tunnel getragen haben.
OHNE MICH
Meine Vorträge in
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