Mein Leben ohne Limits
hatte doch längst herausgefunden, warum Gott mich so wollte. An mir wollte er der Menschheit ein großes Wunder zeigen! Ich sollte der lebende Beweis für seine Existenz werden. Deswegen betete ich: Gott, wenn du mir Arme und Beine gibst, dann erzähle ich überall davon. Ich komme ins Fernsehen und erzähle meine Wundergeschichte. Und dann sieht die ganze Welt, wie mächtig du bist! Ich hätte verstanden, sagte ich ihm. Er könne sich auf mich verlassen. Ich weiß noch, was ich damals gesagt habe: Gott, jetzt weiß ich, dass du mich ohne Arme und Beine gemacht hast, damit ein Wunder passiert und die Leute an dich glauben.
Als Kind hatte man mir erzählt, dass Gott auf vielen Wegen zu uns Menschen spricht. Vielleicht würde er mir ein ganz deutliches Gefühl als Signal geben? Aber da war nichts. Ich fühlte nichts.
Meine Eltern sagten zu mir: „Der Einzige, der den Grund kennt, warum du so bist, ist Gott selbst.“ Also habe ich ihn gefragt. Aber er verriet ihn mir nicht. Die ewigen Bitten und unbeantworteten Fragen hinterließen schmerzhafte Spuren. Ich war ihm doch so nah gewesen!
Am Horizont kündigten sich derweil neue Herausforderungen an. Wir zogen weg von unserer großen Familie, tausendsechshundert Kilometer nach Norden in den Bundesstaat Queensland. Ich wurde aus meinem schützenden Kokon aus Tanten, Onkeln und sechsundzwanzig Cousins und Cousinen herausgerissen. Auch meinen Eltern machte der Umzugsstress zu schaffen. Obwohl sie mir immer wieder zeigten, dass sie mich liebten und unterstützten, fühlte ich mich wie ein großer Klotz am Bein.
Es war, als hätte mir jemand schwere Vorhänge vor die Seele gezogen. Ich konnte nichts Helles und Schönes mehr sehen. Ich war ein Missgeschick der Natur, ein menschliches Ausschussprodukt, Gottes vergessenes Kind. Meine Eltern gaben sich natürlich alle Mühe, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Sie lasen mir aus der Bibel vor und nahmen mich zum Gottesdienst mit. Dort hört man, dass Gott alle Menschen liebt. Aber ich hatte mich tief in Schmerz und Wut vergraben. Nur das gemeinsame Singen mit Menschen, die mich mochten, tröstete mich.
Ich wollte ja daran glauben, dass Gott auch mich liebt, aber immer, wenn ich müde oder angeschlagen war, überkamen mich destruktive Gedanken. Vom Rollstuhl aus sah ich Kindern auf dem Spielplatz zu und dachte: Wenn Gott mich wirklich liebt wie alle Kinder, warum habe ich dann keine Arme und Beine? Warum muss ich so anders sein?
Irgendwann war ich selbst tagsüber und wenn alles gut lief nicht mehr sicher vor diesen Stimmungseinbrüchen. Die Aussicht auf ein Leben voller Schwierigkeiten trieb mich in die Verzweiflung. Gott schien alles Betteln egal zu sein.
Eines Tages saß ich auf der Arbeitsplatte in der Küche und sah zu, wie meine Mom kochte. Normalerweise fühlte ich mich dabei geborgen und konnte gut entspannen. Aber auf einmal brach wieder eine düstere Stimmung über mich herein. Plötzlich wurde mir klar, dass ich nicht für den Rest ihrer Tage die Last ihres Lebens sein wollte. Ich verspürte den Drang, mich von der Arbeitsfläche herabzustürzen. Ich sah nach unten. In welchem Winkel war die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass ich mir auch wirklich das Genick brach?
Doch dann redete ich es mir selbst aus. Ich hatte Angst davor, alles erklären zu müssen, falls der Selbstmordversuch schiefging. Außerdem war ich erschrocken, dass ich so kurz davor war, mir etwas anzutun. In dieser Situation hätte ich mich meiner Mom anvertrauen sollen, aber ich schämte mich und wollte ihr keine Angst einjagen.
Ich war jung und unsicher. Obwohl ich von Menschen umgeben war, die mich liebten, kam ich nicht aus mir heraus. Hilfe war zum Greifen nah, aber ich verharrte still und blieb allein. Das war ein Fehler.
Es ist falsch, zu versuchen, alles mit sich selbst auszumachen. Man ist für Menschen, die einen lieben, keine Bürde! Sie wollen einem helfen. Wer das Gefühl hat, sich ihnen nicht anvertrauen zu können, kann sich professionelle Hilfe suchen. Niemand muss allein bleiben. Ich war genauso wenig allein. Heute bin ich mir dessen bewusst. Und ich hoffe, dass du niemals so kurz wie ich davor bist, einen fatalen Fehler zu begehen.
Damals hatte mich die Hoffnungslosigkeit im Würgegriff. Also beschloss ich, dass es nur einen Weg gab, damit der Schmerz aufhörte: Ich musste mich umbringen.
HAARSCHARF
Eines Nachmittags kam ich von der Schule und bat meine Mom, mich in die Badewanne zu legen, damit ich mich durchwärmen
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