Mein Leben ohne Limits
Durchschnittslohns. Oder noch schlimmer: Sie kaufen das Mädchen. Die Schlepper sind nur der Anfang einer langen Kette von grausamen Menschen. Sobald die Mädchen in ihrer Obhut sind, übernehmen die Zuhälter die Kontrolle: „Du arbeitest jetzt für uns, ob du willst oder nicht.“
Ich unterhielt mich in Mumbai mit mehreren ehemaligen Sexsklaven, die von Bombay Teen Challenge gerettet wurden. Jede ihrer Geschichten ist herzzerreißend und zugleich leider überhaupt nicht ungewöhnlich. Wehrten sie sich gegen die Zwangsprostitution, wurden sie geschlagen, vergewaltigt und in unterirdische Käfige gesperrt, in denen sie nicht einmal aufstehen konnten. Dann verweigerte man ihnen das Essen, missbrauchte sie und unterzog sie einer Gehirnwäsche, bis ihr Widerstand gebrochen war. In diesem Zustand schickte man sie ins Bordell. Dort hörten sie, dass siebenhundert US-Dollar für sie bezahlt worden waren und sie nun drei Jahre Zeit hätten, um das Geld abzubezahlen. Hunderte Male mussten sie ihren Körper verkaufen. Für einmal Sex wurden zwei Dollar auf die Schulden angerechnet.
Die meisten Mädchen meinen, dass sie keine andere Wahl haben. Zu ihren Familien könnten sie nie zurückkehren, erzählen ihnen die Zuhälter, weil sie so viel Schande über sie gebracht hätten. Viele erkranken an sexuell übertragbaren Krankheiten oder werden schwanger und wissen keinen Ausweg.
Obwohl das Leben für die Mädchen und jungen Frauen grauenvoll ist, haben sie Angst davor, etwas daran zu ändern. Sie geben lieber die Hoffnung auf und verlieren ihre Menschlichkeit. Die Mädchen verzweifeln an der Frage, ob sie es je aus dem Slum herausschaffen werden. Psychologen beobachten bei Frauen, die in ihrer Partnerschaft missbraucht werden, eine ähnliche Fluchtresistenz. Sie leben in Angst und Schmerz, aber können sich nicht von ihrem Peiniger trennen, weil die Angst vor dem Unbekannten noch größer ist. Die Fähigkeit zu träumen haben sie verloren und können sich ein anderes Leben nicht mehr vorstellen.
Uns ist sofort klar, dass die Mädchen in Mumbai schnellstmöglich aus ihrem Umfeld fliehen sollten. Aber bewerten wir unsere eigene Situation genauso eindeutig? Hast du dich je wie ein Gefangener in deinem eigenen Leben gefühlt und dann gemerkt, dass es an dir selbst lag? Dass dir eine gute Perspektive fehlte, etwas Mut oder ein frischer Blick auf deine ganzen Möglichkeiten?
Um etwas zu verändern, muss man sich vorstellen können, wie es werden soll. Man braucht Hoffnung und Selbstvertrauen.
Das Team von Bombay Teen Challenge weiß, dass die jungen Frauen keinen Ausweg sehen. Viel zu lange hat man ihren Widerstand systematisch niedergeschlagen. Manche glauben noch nicht einmal daran, Liebe oder eine vernünftige Behandlung verdient zu haben. Ich habe das alles mit eigenen Augen gesehen. Und ich war so froh, dass Onkel Dev und sein Team so gute Arbeit leisten und sich um die Prostituierten und ihre Kinder kümmern, die man nur „Spatzen“ nennt, weil sie einfach auf der Straße leben.
Ich wurde von Haus zu Haus geleitet. Im ersten stand eine alte Frau von der Erde auf. Man stellte sie mir als Bordelldame vor. Durch den Dolmetscher ließ sie mir sagen: „Bitte, sprechen Sie zu meinen Huren, damit sie sich bessern.“ Dann zeigte sie mir eine Frau, die in ihren Vierzigern zu sein schien. Sie erzählte mir, wie sie mit zehn Jahren aus ihrem Dorf verschleppt und zur Prostitution gezwungen worden war.
„Meine Schulden hatte ich abgearbeitet, als ich dreizehn war“, übersetzte mir der Dolmetscher. „Ich durfte gehen, aber auf der Straße wurde ich sofort verprügelt und vergewaltigt. Trotzdem schaffte ich es bis zu meiner Familie. Dort wollte man aber nichts mehr mit mir zu tun haben. Also kam ich hierher zurück und arbeitete weiter als Prostituierte. Dann bekam ich zwei Kinder, von denen eins schon gestorben ist. Vor zwei Tagen hat man mir gesagt, dass ich Aids habe, deswegen hat mich mein Zuhälter rausgeworfen. Und nun habe ich dieses Kind und weiß nicht, wohin.“
Von uns aus gesehen mag sie andere Möglichkeiten gehabt haben, aber in ihren Augen gab es keine Alternative. Ich wünschte, jeder wäre davon überzeugt, dass Veränderung immer möglich ist. Denn selbst wenn man keinen Ausweg sieht, gibt es einen. Wenn man ihn nicht findet, muss man sich Hilfe von jemandem holen, der eine weitere Sicht hat. Das kann ein Freund, ein Familienmitglied, ein professioneller Berater oder jemand von einer öffentlichen Einrichtung
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