Mein Leben
versuchte die Verlage zu überreden, dieses oder jenes deutsche Werk der Vergangenheit ins Polnische übersetzen zu lassen, vor allem Bücher von Autoren, die in Polen noch wenig bekannt waren – es handelte sich sowohl um Schriftsteller unseres Jahrhunderts (wie etwa Hermann Hesse und Heinrich Mann, Arthur Schnitzler und Leonhard Frank) als auch um Erzähler des neunzehnten Jahrhunderts (wie Fontane, Storni, Raabe), über die in Polen damals bloß die Germanisten informiert waren. Die dann tatsächlich erscheinenden polnischen Ausgaben habe ich mit ausführlichen Vor- oder Nachworten versehen.
Ich hatte in kurzer Zeit den Ruf eines zuverlässigen und gut lesbaren Fachmanns für deutsche Literatur. Das gefiel mir, natürlich. Nur war es zugleich mein Unglück. Ein älterer Freund, Kommunist seit Jahrzehnten und ein Kenner der Praktiken der Partei, warnte mich: »Das Zentralkomitee hat deinen Aufstieg im Verlagswesen nicht deshalb verhindert, damit du jetzt Karriere als Kritiker machst. Dies werden die Genossen irgendwann merken und als Provokation empfinden. Du mußt um die Wiederaufnahme in die Partei bitten. Wahrscheinlich wird daraus nichts werden, aber es wird die zuständigen Genossen vielleicht etwas milder stimmen.«
Das leuchtete mir ein. Um also meine Tätigkeit als Kritiker nicht zu gefährden, bat ich, meinen Ausschluß aus der Partei zu überprüfen und aufzuheben. Eine Antwort bekam ich nie. Immerhin wurde meine Arbeit nicht gestört, zunächst einmal. Freilich stand sie immer im Schatten der antideutschen Stimmungen, die trotz der offiziellen polnischen Propaganda kaum nachließen.
Als der Arbeiterschriftsteller Willi Bredel, der im Unterschied zu manch anderem DDR-Autor wirklich ein Arbeiter und wirklich ein Schriftsteller war und dessen Bücher in polnischer Übersetzung nicht ganz erfolglos blieben, Warschau besuchte, habe ich ihn zum Mittagessen eingeladen. Unsere Haushälterin machte ich darauf aufmerksam, daß der Gast zwar ein Deutscher sei, aber ein anständiger Kerl, einer, der nicht für, sondern gegen Hitler gekämpft habe. Sie solle sich Mühe geben und ein gutes Essen bereiten. Sie nickte: Ja, das Essen werde schon gut sein, nur hätte sie gern gewußt, ob der Gast nicht zufällig jener Deutsche sei, der ihren Mann im Konzentrationslager erschlagen habe.
Die deutschen Schriftsteller, die in den frühen und mittleren fünfziger Jahren, Polen besuchten, konnte niemand verdächtigen, sie hätten mit den Nazis sympathisiert – es waren fast nur ehemalige Emigranten. Gleichwohl wurden sie meist ignoriert oder bestenfalls kühl begrüßt. Das gilt auch für Anna Seghers. Sie besuchte Warschau im Dezember 1952. Mir war an einem ausführlichen Gespräch mit ihr sehr gelegen, zumal ihr polnischer Verlag von mir eine Monographie über ihr Werk haben wollte.
Ich kannte alles, was sie veröffentlicht hatte, und bewunderte neben dem »Siebten Kreuz« auch den Roman »Transit« und einige ihrer Erzählungen, vor allem den »Ausflug der toten Mädchen«. So wußte ich, daß das methodische Denken nicht zu den starken Seiten dieser vielseitig gebildeten Autorin gehörte. Für das Diskursive hatte Anna Seghers nicht viel übrig, es war ihr wohl etwas fremd. Ich bin auch nicht sicher, ob der Marxismus – wie oft gesagt wurde – wirklich ihre Persönlichkeit geprägt hat. Jedenfalls vermochte er auf ihren Denkprozeß keinen wesentlichen Einfluß auszuüben. Dies zeigen auch ihre Aufsätze und Ansprachen: Es sind sehr unterschiedliche, bisweilen reizvolle Arbeiten. Sie bestehen aber meist – und zwar gerade die wichtigeren – aus nur lose miteinander verbundenen Bruchstücken, genauer: aus Beobachtungen, Impressionen und Augenblicksbildern, aus Splittern, Reflexionen und erzählerischen Passagen.
Als wir uns in Warschau trafen, nahm sich Anna Seghers viel Zeit für mich – vielleicht deshalb, weil sie vom Verlag darum gebeten worden war. Sie war schlicht gekleidet, benahm sich ganz natürlich, ohne eine Spur von Selbststilisierung oder Affektation. Aber sie machte auf mich einen widerspruchsvollen Eindruck: Von ihrer Person ging etwas Betuliches aus – und zugleich etwas Unheimliches. Das hatte mit ihrem Gesichtsausdruck, mit ihrer Mimik und Gestik zu tun. Eben hatte sie freundlich gelächelt – und schon blickte sie mich ernst und traurig an. Eben war sie fröhlich, und schon schien sie resigniert und vielleicht schwermütig. Eben hörte sie mir konzentriert, ja, angestrengt zu – und schon
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