Mein Leben
lobte, sagte er mir etwas verärgert: »Gute Gesinnung gibt es bei uns gratis.« 1972 wurde ich von der Königlichen Akademie in Stockholm gefragt, wem meiner Ansicht nach der Nobelpreis für Literatur gebühre. Ich habe nicht lange geschwankt. Ich nannte Heinrich Böll, ihn, den deutschen Prediger mit clownesken Zügen und den Narren mit priesterlicher Würde, ihn, der beinahe über Nacht ein Praeceptor Germaniae geworden war, ein Lehrmeister, wie ihn Deutschland noch nie gehabt hatte. Doch überschätze ich meinen Einfluß nicht: Wenn ich ihn nicht vorgeschlagen hätte, dann wäre ihm, vermute ich, dieser Preis genauso zugefallen. Schließlich habe ich später noch mehrfach die gleiche Anfrage aus Stockholm erhalten. Meine Kandidaten waren: Graham Greene, John Updike, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Keinem wurde der Preis verliehen.
1979 hat mir Bölls Roman »Fürsorgliche Belagerung« besonders mißfallen. Meine Kritik in der »Frankfurter Allgemeinen« begann mit den Worten: »Nein, nichts kann meine Verehrung für Heinrich Böll erschüttern. Nicht einmal der Roman ›Fürsorgliche Belagerung‹.« Gerade dieser Anfang meines Aufsatzes hat ihn besonders erbost, er hat mir im Fernsehen zornig geantwortet. Wir haben in den nächsten Jahren mehrfach miteinander korrespondiert, aber gesehen haben wir uns erst wieder im Oktober 1983, bei einem Empfang in einem Hotel am Rhein. Böll, schon von schwerer Krankheit deutlich gezeichnet, erklärte sich dennoch bereit, eine Laudatio auf eine polnische Übersetzerin zu halten.
Als er mich sah, ging er gleich auf mich zu und fragte halb drohend und halb treuherzig: »Geben wir uns noch die Hand?« Ich antwortete: »Aber ja, natürlich.« Doch gab er mir die Hand nicht, noch nicht. Vielmehr kam er näher, ich wußte nicht, was er wollte. Ich wartete, wohl ziemlich unsicher, was nun passieren werde. Einen Skandal wollte ich unbedingt vermeiden. Aber nein, Böll tat mir nichts an. Nur flüsterte er mir etwas ins Ohr, ein einziges, beim deutschen Volk seit eh und je besonders beliebtes Wort: »Arschloch!« Dann sagte er laut und lachend: »Jetzt ist alles wieder gut.« Und er umarmte mich.
Ich habe viel von Böll gelernt – auch die simple Einsicht, daß es zwischen einem Autor und einem Kritiker Frieden oder gar Freundschaft nur dann geben kann, wenn der Kritiker niemals über die Bücher dieses Autors schreibt, und wenn dieser sich damit ein für allemal abfindet.
Noch etwas ganz anderes will ich hier nicht unerwähnt lassen. Ich habe zwei deutsche Schriftsteller näher kennengelernt, die beide ihr Christentum häufig und nachdrücklich akzentuierten. Aber nur einer von diesen beiden hat mich von der Ernsthaftigkeit seines Glaubens, von dessen makelloser Redlichkeit überzeugt: Heinrich Böll.
Eine Studienreise mit allerlei Folgen
Im Oktober 1956 erfolgte unter aufregenden Umständen der Machtwechsel in Polen: Gomulka, noch unlängst des »Titoismus« und des »Nationalismus« bezichtigt und einige Jahre inhaftiert, stand nun wieder an der Spitze der Kommunistischen Partei. Zur Freude der Schriftsteller und Journalisten, die wesentlich zum Sieg Gomulkas beigetragen hatten, versprach er sogleich die Freiheit der Presse und der Literatur. Allerdings gab es immer noch die Zensur – und nach wie vor mußten ihr sämtliche Texte zur Genehmigung vorgelegt werden. Aber die Redaktionen und Verlage erhielten sie unverändert zurück. Da die Zensoren keinerlei Anweisungen vom Zentralkomitee der Partei erhielten, wußten sie nicht, was sie beanstanden sollten: Also wurde alles akzeptiert. Die Zensur war offenbar überflüssig, sie solle, hieß es, in Kürze abgeschafft werden.
Wenn dieses Amt ohnehin mit dem Todesstoß rechnen mußte, dann wäre es vielleicht klüger – so meinten viele Zensoren –, öffentlich Selbstmord zu verüben und sich auf diese Weise wenigstens etwas zu rehabilitieren: Auf einer Versammlung der Parteiorganisation im Amt der Zensur wurde beschlossen, das Zentralkomitee um die Auflösung des Amts zu bitten. Das entsprechende Schreiben sollte in der Presse veröffentlicht werden. Dies aber wurde von der Zensur verhindert. Eine paradoxe, eine absurde Situation: Die Zensur wünscht ihre Auflösung, verbietet indes, diesen Wunsch publik zu machen. Es war wohl das kurioseste Verbot in der Geschichte der polnischen Presse.
Der Wunsch der Zensoren wurde nicht erfüllt, sie gingen bald wieder ihren Pflichten nach. Die neue Parteiführung hielt sich
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