Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Leben

Mein Leben

Titel: Mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Reich-Ranicki
Vom Netzwerk:
sagte ich, daß Bücher von Schriftstellern aus der DDR (ob ich wirklich diese drei Buchstaben verwendete oder von der »Zone« sprach, weiß ich nicht mehr) in seinem Literaturteil überhaupt nicht rezensiert würden. Sieburg war verblüfft; hätte ich mir die Bemerkung erlaubt, daß in der »Frankfurter Allgemeinen« die mongolische Lyrik nicht beachtet werde und die bulgarische Dramatik ebenfalls nicht – seine Verwunderung wäre kaum größer gewesen.
    Er fragte mich, nicht ohne leisen Spott, an welchen Autor aus der »Zone« ich denn gedacht hätte. Dort sei unlängst, antwortete ich, ein neuer Roman von Arnold Zweig erschienen. Sieburgs Gesicht hellte sich auf: Ja, das sei in der Tat »ein literarischer Gegenstand«. Es war klar, was er meinte: Obwohl in Ost-Berlin verlegt, sei Prosa aus der Feder dieses Autors doch Literatur. Jedenfalls nickte er zustimmend und bat mich, in seinem Sekretariat den genauen Titel dieses Buches und den Verlag anzugeben. Als ich dort den Aufbau-Verlag nannte, wollte man von mir die Adresse erfahren. 1958 hatte man in der »Frankfurter Allgemeinen« vom besten und bedeutendsten Verlag der DDR noch nichts gehört. Wie auch immer: Meine Kritik des Romans »Die Zeit ist reif« von Arnold Zweig erschien an der Spitze der Messebeilage der »Frankfurter Allgemeinen« im September 1958. In den nächsten Monaten schrieb ich für die »Frankfurter Allgemeine« acht weitere Buchbesprechungen, sie wurden alle sofort gedruckt, ungekürzt.
    Gleich nach dem Besuch in der »Frankfurter Allgemeinen« fuhr ich nach Hamburg, um zu erkunden, was sich dort machen ließe. In der Redaktion der »Welt«, der damals neben der »Frankfurter Allgemeinen« wohl wichtigsten westdeutschen Tageszeitung, sprach ich mit dem Feuilletonchef Georg Ramseger, einem schlanken, drahtigen Mann, dem offenbar daran gelegen war, als ehemaliger Offizier erkannt zu werden. Er war Reserveoffizier gewesen.
    In meiner Erinnerung ist er vor allem als großer Angeber geblieben. Er hörte sich an, was ich zu sagen hatte, und erhob sich, eine stramme Haltung annehmend. Nach einer militärisch anmutenden Kehrtwendung öffnete er mit theatralischer Geste den hinter ihm stehenden Schrank und griff aufs Geratewohl – jedenfalls wollte er diesen Eindruck erwecken – einige Bücher heraus. Es waren vier oder fünf Romane ausschließlich osteuropäischer Autoren – und das konnte nun doch kein reiner Zufall sein. Er überreichte sie mir nicht ohne Feierlichkeit. Dann sagte er mit knarrender Stimme und in einem Tonfall, der an Offizierskasinos erinnerte: »Schreiben Sie über diese Bücher. Werden die Kritiken gut sein, werden wir sie bringen. Sollten sie schlecht sein, werden wir sie nicht bringen. Das ist alles, was ich für Sie tun kann.« Mehr hatte ich auch nicht erwartet. Ich verfaßte für die »Welt« drei Jahre lang Rezensionen, Glossen und nicht selten auch allgemeine literarkritische Aufsätze.
    Während des kurzen Aufenthalts in Hamburg wurden mir von Kennern des literarischen Lebens in der Bundesrepublik viele Ratschläge erteilt. Sie waren allesamt, versteht sich, gut gemeint. Die einen sagten mir: Sie müssen sich hier als Kritiker der slawischen Literaturen etablieren. Sie sollten mit der Zeit der Papst für osteuropäische Fragen sein. Aber ich wurde auch gewarnt: »Lassen Sie sich nur ja nicht in eine polnische oder slawische Ecke drängen. Denn was Sie da verdienen können, wird für Ihren Unterhalt kaum reichen.«
    Einen ganz anderen Ratschlag bekam ich von dem Journalisten Heinz Liepman zu hören, einem ehemaligen Emigranten, der nun in Hamburg ansässig war. Er meinte: »Ich habe zwei Artikel von Ihnen gelesen, und ich kann Sie beruhigen: Sie werden schon Ihren Weg in diesem Land machen – aber unter einer Bedingung. Sie können es mir glauben, ich bin ein alter Hase. Ich habe vor Hitler für die Frankfurter Zeitung‹ geschrieben. Also: Sie müssen sofort Ihren Namen ändern. Mit dem Namen ›Reich-Ranicki‹ sind Sie hier verloren. Erstens, kann ihn sich keiner merken und, zweitens, niemand wird wissen, wie man ihn aussprechen soll. Ich beschwöre Sie – ändern Sie diesen Namen, und zwar noch heute.«
    Ich dankte herzlichst für den Ratschlag und sagte, ich würde mir die Sache überlegen. Drei Jahre später, Liepman war inzwischen in die Schweiz umgesiedelt, traf ich ihn in Zürich. Wir gingen am See entlang und plauderten. Plötzlich blieb er stehen und fragte mich: »Können Sie sich noch erinnern? Sie waren

Weitere Kostenlose Bücher