Mein Leben
später erfuhr, meine Beiträge in der »Welt« viele Leser fanden, war die Redaktion auch mit diesem beinahe extravaganten Vorschlag einverstanden – obwohl man eine solche Serie im Grunde für überflüssig hielt. Die Einzelheiten waren rasch vereinbart. Schwierigkeiten bereitete nur der Titel des Ganzen: Die Schlagzeile »Schriftsteller aus der DDR« kam für die »Welt« nicht in Frage – und mir wiederum mißfiel der Gegenvorschlag der Zeitung: »Schriftsteller aus der Sowjetzone«. Der Kompromißtitel lautete dann: »Deutsche Schriftsteller, die jenseits der Elbe leben.«
Bis Juni 1959 erschienen insgesamt vierzehn Porträts – von Arnold Zweig und Anna Seghers, Ludwig Renn und Willi Bredel über Peter Huchel und Stephan Hermlin bis zu Erwin Strittmatter und Franz Fühmann. Mein einleitender Artikel lief auf die These hinaus, daß zum Bild der deutschen Gegenwartsliteratur das Werk auch jener Schriftsteller gehöre, die ihren Beruf jenseits der Elbe ausübten. Den an sich banalen Gedanken hielt man damals für kühn. Die aus dieser Artikelserie 1960 hervorgegangene Anthologie mußte ebenfalls mit einem (wahrlich nicht sehr glücklichen) Kompromißtitel versehen werden: »Auch dort erzählt Deutschland. Prosa von ›drüben‹«. Es war die erste im Westen publizierte Anthologie der DDR-Literatur. Von den drei Buchstaben wollte auch der als liberal geltende Norddeutsche Rundfunk nichts wissen. Die Hörfunkreihe, die ich regelmäßig etwa drei Jahre lang für den NDR schrieb, mußte daher »Literatur in Mitteldeutschland« heißen.
Natürlich habe ich mich bemüht, diese Autoren – die meisten kannte man im Westen überhaupt nicht – fair und gerecht zu behandeln. Nur war das damals gar nicht so selbstverständlich. Mag sein, daß jene Chronisten nicht ganz im Unrecht waren, die später schrieben, in der Zeit der Ost-West-Konfrontation sei ich in der Bundesrepublik eine Art Vorreiter der Entspannungspolitik gewesen. Doch kaum war die Artikelserie über die DDR-Schriftsteller in der »Welt« gedruckt, da kündigte mir die »Frankfurter Allgemeine« die Zusammenarbeit. Das habe, wurde mir nachdrücklich gesagt, mit der Qualität meiner Beiträge nichts zu tun. Vielleicht war die Tendenz meiner Serie in der »Welt« nicht genehm? Auch das hat man, wenn auch weniger heftig, bestritten.
Es ging um Friedrich Sieburg, von dem ich ohnehin mehr geduldet als gefördert wurde und der mir die wichtigeren Bücher, die ich rezensieren wollte, meist verweigerte. Er habe es ungern gesehen, daß in letzter Zeit Beiträge von mir immer häufiger in der »Welt« zu lesen und im Rundfunk zu hören seien. Er fürchtete – ich konnte es kaum glauben –, die Konkurrenz versuche den Neuankömmling zu einer Gegenfigur aufzubauen. Seinem Assistenten soll er gesagt haben: »Machen Sie sich keine Sorgen um ihn. Solche Herrn haben ja Ellenbogen. Er wird uns schon an die Wand drängen.« Solche Herrn – was war damit wohl gemeint?
Aber Sieburg, dem ich von Anfang an nicht geheuer war, hatte schon recht: Ich paßte nicht in die »Frankfurter Allgemeine«, wie sie damals war. Ich hatte nichts übrig für die betont konservative und steif-würdevolle Haltung dieses Blattes.
Auch mein Stil machte mich hier zum Fremdling. In einem 1935 an Walter Hasenclever gerichteten Brief lobt Tucholsky einen Artikel in der »Basler Nationalzeitung«, der ihm jedoch »zu fett geschrieben ist (wie aus Sieburgs Küche: wo andere Öl nehmen, gibt es gleich Mayonnaise)«. So wurde damals in der »Frankfurter Allgemeinen« meist geschrieben: sehr vornehm, etwas schwerfällig und häufig eben ein wenig zu fett. Ich schrieb keineswegs besser, natürlich nicht – nur schrieb ich ohne Mayonnaise.
Das war klar: In der »Frankfurter Allgemeinen« würde ich nicht unterkommen. Warum sollten wir also in Frankfurt bleiben? Hamburg sagte mir mehr zu, dort war auch – das zeigte sich immer deutlicher – der Schwerpunkt meiner Arbeit. Denn dort waren die »Welt« und der »Norddeutsche Rundfunk«. Zudem erschien in Hamburg die Zeitung, die den Anspruch erheben konnte, das intellektuelle Forum der Bundesrepublik und zugleich das Organ der deutschen Nachkriegsliteratur zu sein: »Die Zeit«.
Anders als in der »Frankfurter Allgemeinen« konnte man in diesem Blatt – und das war für mich sehr wichtig – auch ehemalige Emigranten lesen, Theodor W. Adorno etwa und Golo Mann, Hermann Kesten, Ludwig Marcuse, Robert Neumann und viele andere, die heute schon
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