Mein Leben
»Frankfurter Allgemeinen« wohlwollend und respektvoll rezensiert hatte, erhielt ich von Monika Mann, der 1910 geborenen Schwester von Erika und Klaus, einen etwas wirren Brief. Dies war jedenfalls klar: Monika beschimpfte Erika als »Hexe« und behauptete, die Schwester habe zum Tod von Klaus beigetragen. Mehr noch: Sie habe diesen Selbstmord wohl verschuldet. Einige Monate später schickte mir Monika einen für die »Frankfurter Allgemeinen« bestimmten kurzen Beitrag über die Verhältnisse im Hause Mann. Der Artikel war wieder vor allem gegen die Schwester Erika gerichtet, über die sich die Formulierung findet: »Ihre von Besessenheit genährte Vaternähe, ausartend in Eifersucht.« Die Veröffentlichung dieses Beitrags, dessen denunziatorische Akzente unmißverständlich waren, kam nicht in Frage.
Wenig erfreulich, wenn auch aus anderen Gründen, war mein Kontakt mit Thomas Manns jüngstem Sohn Michael, geboren 1919. Er war als Geiger und Bratschist keineswegs erfolglos, wandte sich aber, im Alter von etwa vierzig Jahren, der Germanistik zu und lehrte an der University of California in Berkeley. Ich kam 1974 auf die (wie sich bald herausstellte) nicht eben glückliche Idee, ihn um eine Buchbesprechung für die »Frankfurter Allgemeine« zu bitten. Er wollte die damals gerade erschienene deutsche Ausgabe der Gedichte von Wystan Hugh Auden rezensieren. Ich stimmte zu, doch kaum war sein Manuskript angekommen, da rief Michael Mann aus San Francisco an und zog es zurück. Wenig später erhielten wir eine neue Fassung des kurzen Artikels. Er war inhaltlich dürftig und stilistisch unmöglich. Wir haben den Text gründlich überarbeitet und gedruckt. Zugleich fragte ich Michael Mann, natürlich sehr vorsichtig, ob er es vielleicht vorzöge, die für unsere Zeitung bestimmten Manuskripte in englischer Sprache zu schreiben. Auf dieses Angebot ging er nicht ein, wollte aber weitere Bücher besprechen. Ich machte von seinen Vorschlägen keinen Gebrauch.
Im Oktober 1974 traf ich ihn in Frankfurt. Er vermittelte den Eindruck eines psychisch stark gestörten Menschen. Er begrüßte mich und auch andere Personen, die zugegen waren, mit einer ungewöhnlich tiefen Verbeugung – einer so tiefen, daß sein Oberkörper in einer waagerechten Position war. Im letzten Brief, den ich von ihm erhielt (es war im Herbst 1976), freute er sich auf ein Wiedersehen im Winter. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Michael Mann starb in der Nacht vom 31. Dezember 1976 auf den 1. Januar 1977 in Berkeley. Der lakonischen Meldung waren keine Einzelheiten zu entnehmen. Ich verständigte mich sofort mit seinem Bruder Golo Mann. Er bestätigte die Nachricht, gab als Todesursache Herzversagen an und bat, von einem Nachruf oder auch nur von einer Meldung abzusehen. Er war nicht bereit, diesen Wunsch zu erklären. In der Tat hat keine deutsche Zeitung die Todesnachricht gebracht – mit Ausnahme der »Frankfurter Allgemeinen«. In meinem kurzen Nachruf habe ich vor allem auf die germanistischen Arbeiten Michael Manns hingewiesen.
Erst später wurden die näheren Umstände seines Todes bekannt. Er hatte im Auftrag der Familie die Tagebücher Thomas Manns aus den Jahren 1918 bis 1921 für die Veröffentlichung vorbereitet. Diese Arbeit war Ende Dezember 1976 abgeschlossen. Das sollte am Silvesterabend mit Freunden gefeiert werden. Michael Mann war schon im Smoking, man wollte aufbrechen. Da beschloß er, sich noch etwas auszuruhen. Seine Angehörigen, sagte er, sollten sich nicht aufhalten lassen, er werde nachkommen.
So blieb er in seinem Haus in der Nähe von San Francisco. Dort hat man ihn am nächsten Morgen gefunden. In seinem Schlafzimmer lag er im Smoking, mit einem leichten Plaid bedeckt und umgeben von Blumen. Die Beleuchtung war abgedunkelt. Er lebte nicht mehr. Der Obduktionsbefund ergab, daß eine Kombination von Alkohol und Barbituraten zum Tod geführt hatte. Vorangegangen waren einige gescheiterte Selbstmordversuche. Der kurze Nachruf im »San Francisco Chronicle« endet mit den Worten: »Eine Beerdigung wird nicht stattfinden.«
Ähnlich wie im Falle seines Bruders Klaus Mann, der 1949 Selbstmord verübt hatte, wurde jetzt von Freunden, Zeitzeugen und Literarhistorikern für den Tod auch Michael Manns der Vater mitverantwortlich gemacht. Sicher ist, daß Michael an der extremen Lieblosigkeit des Vaters gelitten hat – von Kindheit an. Schon in Thomas Manns 1925 geschriebener Erzählung »Unordnung und frühes Leid« gibt es ein
Weitere Kostenlose Bücher