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Mein Leben

Mein Leben

Titel: Mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Reich-Ranicki
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gestellt. Meine Kritik, nur sie war die Ursache der überaus herzlichen Begrüßung im Foyer des Hotels »Luisenhof«. Ich war schon lange genug in unserem Gewerbe tätig, um mir keine Illusionen zu machen: Ich wußte also, daß das Verhältnis eines Autors zu einem Kritiker nahezu immer von einem einzigen Umstand abhängt – davon nämlich, wie der Kritiker diesen Autor bewertet hat, zumal (darauf kommt es besonders an) dessen bislang letztes Buch.
    Nach meinem Plädoyer für den »Gantenbein« blieb mir Frisch gewogen – das versteht sich. Er war es erst recht, als ich 1972 seinen neuen Prosaband, das »Tagebuch 1966-1971«, rühmend besprach. Ich proklamierte Frisch zum »Klassiker inmitten unserer Gegenwart«. Noch enthusiastischer schrieb ich 1975 über sein Buch »Montauk«. Ich kann nicht ganz ausschließen, daß er mich damals für einen guten Kritiker hielt.
    Dennoch verlief unsere Beziehung weder ganz reibungslos noch harmonisch. Der wichtigste Grund: Mir war daran gelegen, Frisch zumindest als gelegentlichen Mitarbeiter des Literaturteils der »Frankfurter Allgemeinen« zu gewinnen. Ich schrieb ihm Briefe, ich rief ihn an, ich traf ihn hier und da. Stets schlug ich ihm Themen vor, die für ihn, wie mir schien, besonders reizvoll sein konnten. Er antwortete rasch und freundlich, nur lief es immer auf Ausreden hinaus. Ein Manuskript von Frisch habe ich jedenfalls nicht erhalten. Mich ärgerte das, ich empfand es sogar als eine Niederlage.
    Doch 1977 überraschte mich Frisch mit einem Geschenk: Er schickte mir eine wunderbare Radierung. Es war sein Porträt, gezeichnet von Otto Dix. Die Gabe sollte mich, wie er mir wenig später mitteilte, für die Enttäuschung, die er mir habe mehrfach bereiten müssen, entschädigen: Die Sache sei die, daß verschiedene politische Akzente in der »Frankfurter Allgemeinen« für ihn nicht annnehmbar seien. Daher wolle er für diese Zeitung auf keinen Fall schreiben – und er werde es auch in Zukunft nicht tun.
    Nun sind Schriftsteller, ob berühmt oder nicht und ob sie zusagen oder absagen, nicht unbedingt verläßliche Menschen. So überraschte Frisch mich noch einmal mit einer Zusendung. Und dieses Mal, Anfang 1978, war es, seiner für mich traurigen Ankündigung zum Trotz, eben doch ein Manuskript. Es handelte sich um einen Ausschnitt aus seinem bisher weder gedruckten noch aufgeführten Bühnenwerk »Triptychon«. Meine Freude war groß, doch dauerte sie nicht lange: An die Veröffentlichung dieses Textes war nicht zu denken. Schlimmer noch: Im ganzen »Triptychon« gab es offenbar keine Szene, die sich eher für den Vorabdruck in der »Frankfurter Allgemeinen« geeignet hätte – und das erschreckte, das bestürzte mich geradezu. Übrigens war, wie sich nicht viel später herausgestellt hat, kein einziges Theater in der Bundesrepublik bereit, dieses Stück aufzuführen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
    Auch die nächste Arbeit Frischs, die Erzählung »Der Mensch erscheint im Holozän«, mißfiel mir. Über dieses Buch, das war mir sofort klar, dürfe ich mich nicht äußern. Denn sosehr mich das Thema interessierte, so empfand ich die Erzählung doch als fremd, als mühselig präpariert. Fehlte mir das Sensorium für ihren Ton, ihren Stil? Ich bedauere es nicht, daß ich es bei manchen Büchern für angebracht hielt, zu schweigen, eher habe ich mir vorzuwerfen, daß ich zu manchen Publikationen nicht geschwiegen habe. Weil ich es damals vorgezogen habe, über diese Erzählung nicht zu schreiben, waren die eher distanzierten, aber doch korrekten Beziehungen zwischen Frisch und mir nicht gefährdet – vorerst jedenfalls.
    Ich erinnere mich gern an einen Besuch im Mai 1980 in seiner kleinen Züricher Wohnung in der Stockerstraße. Wichtiger und auch folgenreicher war aber mein Besuch in seinem nächsten, ungewöhnlich hellen und geräumigen Domizil, ebenfalls in der Züricher Innenstadt, in der Stadelhoferstraße. Er habe diese Wohnung gewählt, weil es hier alles, was er dringend brauche, in der Nähe gäbe – er nannte an erster Stelle eine Apotheke. Die Wohnung sei sehr schön, aber der Bau einer S-Bahn-Linie in ihrer unmittelbaren Nähe mache ihm zu schaffen. Der Lärm sei unerträglich. Dennoch habe er sie genommen, auch weil es für ihn schwierig war, eine passende Wohnung zu finden, und zwar vorwiegend seines Rufes wegen. Wie denn das?
    Viele Züricher Bürger, behauptete Frisch, wollten mit ihm, da sie ihn für einen militanten Linken hielten,

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