Mein letzter Tampon
hier vorbeigehe.“
Wie wir schon in unserem italienischen Restaurant gesehen haben, ist die wohl wichtigste Voraussetzung für Charme, dass man in der Lage ist, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. So was heißt Empathie. Und ist viel leichter, als man denkt. Wenn du mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehst, dann gibt es jeden Tag hunderte von Gelegenheiten, andere ein bisschen fröhlicher zu machen und durch das, was zurückstrahlt, ein bisschen glücklicher zu werden.
Charme ist, anderen das Gefühl zu geben, dass du sie bewusst wahrnimmst. Dass du dich für ihr Leben und ihre kleinen Probleme interessierst, ihre Leistungen anerkennst. Wer sich nur für sich selbst interessiert, der kann nicht erwarten, dass andere sich für ihn interessieren. Es ist, als ob man in einen blinden Spiegel schaut. Da schaut niemand zurück.
6. Nutze den Tag
Der Knacks im Ego
Schauen wir uns mal Heidemarie an. Heidemarie ist eine wirklich attraktive Frau mit glänzenden, braunen Haaren, kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag. Früher hieß sie bei allen Heidi, aber in letzter Zeit will sie nur noch mit ihrem ganzen Namen angeredet werden. Na, wenn es Heidemarie glücklich macht …
Heidemarie ist Chefsekretärin. Die anderen halten sie für einen Drachen und an diesem Image hat sie zwanzig Jahre gebastelt. Ihr Chef hat sie dafür mit einem Gehalt belohnt, das nur allerhöchste Wertschätzung bedeuten kann.
Früher sprang Heidemarie morgens gut gelaunt aus den Federn, versorgte Mann und Kinder und fuhr dann vergnügt zur Arbeit, wo sie als Erstes lüftete, Kaffee kochte und ein fröhlich Liedchen trällerte. Jetzt sind ihre Kinder aus dem Haus und das mit dem gut gelaunt aus den Federn springen will nicht mehr so richtig funktionieren. Ihr Mann macht jetzt das Frühstück. Morgens steht Heidemarie vor ihrem Kleiderschrank und weiß nicht mehr, was sie anziehen soll. Das graue Business-Kostüm mit der gelben Seidenbluse ist ihr eigentlich zu anstrengend. Also zieht sie eine lockere Hose an und eine Strickjacke, weil das doch so bequem ist. Im Hinterkopf weiß Heidemarie, dass diese Strickjacke ein untrügliches Zeichen von Depression ist.
Sie quält sich hinunter zu ihrem alten Ford Fiesta und begibt sich lustlos zur Arbeit. Es ist sogar schon vorgekommen, dass sie sich verfahren hat, obwohl sie die Strecke seit zwanzig Jahren täglich fährt. Früher hat sie immer das Autoradio auf full power gedreht, jetzt ist ihr die Stille lieber, da kann sie besser ihren Gedanken nachhängen.
Heute Morgen ist Heidemarie der Kaffeefilter umgekippt und die ganze braune Körnerbrühe hat sich über den Eisschrank in ihrem kleinen Büro ergossen. Heidemarie hat sich hingesetzt und geweint. Jetzt bin ich schon zu blöd zum Kaffeekochen, hat sie sich gesagt. Als ihr Chef kommt, wischt sie schnell die Tränen weg und serviert ihm mit zitternden Händen den Kaffee.
Als er ihr anschließend ein paar Briefe diktieren will, kriegt sie eine Hitzewallung.
Immer wieder schweifen ihre Gedanken ab und sie muss fragen: „Wie bitte, Entschuldigung, das habe ich eben nicht mitgekriegt.“ Ihr Chef guckt seinen von Herzen geliebten Hausdrachen an und wundert sich.
„Nicht ganz bei der Sache, was, Mädchen?“, fragt er sie.
„Ich bin kein Mädchen“, murmelt sie und muss mühsam die Tränen zurückhalten.
„Irgendwelche Termine heute?“, fragt der Chef.
„Ich weiß es nicht“, muss sie gestehen.
„Na, dann gucken Sie doch mal nach.“ Der Chef wird langsam sauer.
Heidemarie stolpert hinaus und reißt die Kaffeetasse um.
„Passen Sie doch auf!“
Draußen stellt sie fest, dass der erste Termin bereits vor zehn Minuten begonnen hat. Und das muss sie jetzt ihrem Chef beichten. Der macht sich Sorgen um seinen Hausdrachen und schiebt es auf „mit dem linken Fuß aufgestanden“.
Das stimmt vermutlich sogar. Was der Chef sich allerdings nicht vorstellen kann, ist, was dieser Tagesanfang mit unserer Heidemarie macht. Sie fragt sich nämlich ernstlich, ob sie ihrem Job überhaupt gewachsen ist. Wenn das Telefon klingelt, zuckt sie zusammen, als ob die zwölf Geschworenen sie jetzt schuldig sprechen würden. Während sie früher unnahbar mit erhobenem Haupt durch die Kantine ging und sich, ungefragt, aber gern gesehen, zu den Abteilungsleitern an den Tisch setzte, meidet sie die Kantine jetzt, als ob von dieser ein fauliger Geruch ausgehe. Heidemarie läuft ziellos in ihrer Mittagspause durch die öden Straßen des Industrievorortes
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