Mein Mann, der Liebhaber und der Tote im Garten
ja seit Tagen nichts mehr von mir gehört. Laberlaber.
Ihre Stimme drang frisch und ausgeruht durch den Hörer. Meine Mutter kannte Schlafstörungen nur vom Hörensagen und verstand überhaupt nicht, dass man früh um halb sieben Uhr noch schlaftrunken war.
Da ich sie einmal am Ohr hatte, erzählte ich ihr, dass Martin im Krankenhaus liege, sie sich jedoch keine Sorgen zu machen brauche, da er in den nächsten Tagen sowieso entlassen würde. Froh, endlich mal wieder ein wenig aufgeregt sein zu dürfen, wollte sie ihn sofort besuchen. Langsam glaubte ich, dass meine Mutter einen Grad an Senilität erreicht hatte, an dem sie nicht mehr bei sich war. Es war zwanzig vor sieben.
Ich beruhigte meine Mutter und beendete das Gespräch mit dem Versprechen, sie sofort anzurufen, wenn Martin wieder zu Hause wäre.
Kaum hatte ich aufgelegt und mich wieder entspannt in mein Kopfkissen fallen lassen, fiel mir ein, dass ich durch die Shoppingtour mit der Baerenbaum und den frühnachmittäglichen Caipirinha vergessen hatte, dass ich gestern in Michaelsens Klinik vorbeikommen sollte.
Ich würde dort heute früh anrufen und mich entschuldigen.
Fertig.
Die Oberschwester kam mir zuvor.
Pünktlich um neun Uhr meldete sie sich auf meinem Handy. Überrascht entschuldigte ich mich für mein Benehmen und versprach, über Mittag vorbeizuschauen. Mir war auf die Schnelle keine Ausrede eingefallen, und so sah ich mich um der guten Sitten willen geradezu gezwungen, meinem Mann einen Besuch abzustatten.
Blass und im Gesicht ein wenig hagerer als gewöhnlich, lag Martin im Bett und lächelte mir mit so viel naiver Freude entgegen, dass ich kurz davor stand, all meine Wut, all meine Enttäuschung und all meine Pläne über den Haufen zu werfen, zu vergessen, was geschehen war, und ihn postwendend mit nach Hause zu nehmen und aufzupäppeln. Damit würde ich mich in den Augen meiner Mama unmissverständlich als Versagerin outen, aber als Vorlage für eine Kinoromanze wäre die Versöhnung perfekt.
Allerdings behagte mir der Gedanke dann doch nicht, Protagonistin in einer Romanze zu sein.
Ich hatte Martin unterwegs ein paar Kirschen besorgt, die er mit einem Strahlen entgegennahm, als hätte er in den letzten zehn Jahren keine mehr gesehen. Ich grüßte ihn von Hedwig, die mir einen Strauß Blumen mitgegeben hatte, richtete ihm ihre besten Genesungswünsche aus und entschuldigte mein Fernbleiben am Tag zuvor.
Alles schien so zu laufen, wie es sich für eine funktionierenden Ehe gehörte. Theoretisch jedenfalls.
Während Martin ahnungslos und genussvoll eine Kirsche nach der anderen in den Mund schob, unterhielten wir uns über seine Operation, von der er nur vom Hörensagen wusste, und über Hedwigs Messer-Missgeschick, von dem er ebenfalls nur durch Dr. Michaelsens Erzählung Kenntnis hatte. Martin konnte sich an nichts, was mit seinem Unfall zu tun hatte, erinnern.
Das war auch gut so, schenkte er doch Hedwigs Version zweifellos Glauben.
Im Gegensatz zu mir. Von Anbeginn an hatte ich am Hergang des Unfalls gezweifelt und befürchtet, dass Hedwigs übergroße Loyalität mir gegenüber der eigentliche Auslöser für Martins Verletzungen gewesen war. Unbestritten hatte sie sich erschrocken, als Martin zu einer so frühen Stunde hinter ihr aufgetaucht war. Und im ersten Schreck hatte sie das Messer gezogen. Doch es erschien mir in manchen Momenten gewiss, dass sie bewusst zugestochen hatte und Martin verletzen wollte, als sie ihn erkannt hatte.
Vielleicht sogar, um mich zu rächen.
Dieser Gedanke war nicht abwegig, denn Hedwig war altmodisch, und auf ihre verkorkste Art empfand sie Rache als romantischen Akt.
Nun gut. Niemand würde es ihr je beweisen können und das war in Ordnung.
Martin erwartete, dass er zwei Tage später, also am Samstag, aus der Klinik käme. Eine Rücksprache mit der Oberschwester bestätigte den Termin, der zwar ungewöhnlich war, aber Martin wollte nun einmal so früh wie möglich nach Hause. Michaelsen hatte schließlich nachgegeben, obgleich er Martin ursprünglich über das Wochenende beobachten und erst am Montag entlassen wollte.
Ich versprach Martin, ihn am Samstag früh abzuholen, und verließ die Klinik. Mir kam der Tag äußerst gelegen.
In Lisas Vorzimmer erwartete mich ein neuer Klient, Sven Schalmüller, ein netter, fünfunddreißig jähriger Computerspezialist, der schüchtern auf der Stuhlkante hin- und herrutschte, sich immer wieder an den Steg seiner Brille griff und sie auf der Nase
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