Mein Mann, der Liebhaber und der Tote im Garten
ab.
»Gib mir auch mal eine, bitte«, forderte meine Mutter.
»Aber du rauchst doch gar nicht. Oder nicht mehr«, mischte ich mich ein.
»Ich rauche seit achtundzwanzig Jahren nicht mehr. Aber jetzt möchte ich eine. Und zwar sofort.« Wenn meine Mutter »Und zwar sofort« sagte, duldete sie keinen Widerspruch. Das wusste auch Martin, der sich über den Tisch beugte und ihr die Schachtel hinhielt. Meine Mutter nahm sich eine Marlboro, die sie zunächst zwischen ihren schlanken Fingern rollte, um sie dann elegant zwischen ihre tiefrot geschminkten Lippen zu stecken. Martin gab erst ihr, dann sich selbst Feuer und ließ das Feuerzeug mit dem typisch dumpfen Ploppen eines Dupont-Fabrikats wieder zuschnappen.
Meine Mutter lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück und zog genussvoll an der Zigarette. Ich staunte nicht schlecht, hätte ich doch erwartet, dass ihr übel würde.
»Ich dachte, die Geschichte würde uns nie mehr einholen. Nie wieder. Aber nun ja, es ist wohl nicht zu ändern.« Sie inhalierte erneut und öffnete schließlich die Augen. »Hedwig war bei dem Begräbnis gar nicht dabei. Damals war sie noch nicht bei uns. Aber eure Großmama hatte wohl Jahre später einen ihrer besonders schlechten Tage und erzählte es ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Nun ja«, meine Mutter atmete geräuschvoll die Luft aus, »immerhin hat sich Hedwig fast zwanzig Jahre lang an ihr Versprechen gehalten. Dennoch wundert es mich, weshalb sie gerade jetzt damit rausrückt. Gibt es einen besonderen Grund dafür, Claire?« Meine Mutter schaute mich an.
Ich zog die Schultern hoch und schüttelte den Kopf.
»Komm schon, Claire. Tu nicht so. Hedwig erzählt es nicht einfach so.«
Meine Mutter musterte mich misstrauisch.
»Mama, es gab keinen Grund. Jedenfalls keinen, den ich als solchen erkannt hätte. Vielleicht wollte sie einfach nur mal ihr Gewissen erleichtern.«
»Soso, und deshalb hat sie auch weiter keine Einzelheiten berichtet. Unterschätz mich nicht. Ich bin nicht schwachsinnig.« Den Mund meiner Mutter umspielte ein verbissenes Lächeln. »Du glaubst doch nicht, dass ich dir das abnehme.«
»Mama, jetzt lenk nicht ab. Erzähl uns einfach, was passiert ist.«
»Elisabeth«, mischte sich Martin in das Gespräch, »vielleicht sollten wir zuerst mal klären, was das mit dem Toten in unserem Garten auf sich hat. Du wirst verzeihen, wenn mich das brennender interessiert als die Frage, weshalb Hedwig es ausgerechnet jetzt und nicht schon vor fünf Jahren erzählt hat.«
»Wie ihr wisst«, gab sich meine Mutter geschlagen, ignorierte Martin und sah zu mir, »war Großvater als Vorstandsvorsitzender der Hanseatischen Bank oftmals für längere Zeit im Ausland oder für ein paar Tage in Frankfurt. Na ja« - die Stirn meiner Mutter kräuselte sich -, »und eure Großmama war ja auch noch nicht so alt. Vierundvierzig, fünfundvierzig. Und ich war Anfang zwanzig und wohnte zwar noch zu Hause, führte aber mein eigenes Leben und kümmerte mich nicht weiter um die Kapriolen eurer Großmama. Ich meine,« - sie sah mich erneut an »eure Großmutter war schon immer etwas Besonderes und nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Und ich hatte gerade Herbert kennen gelernt und war sehr verliebt.
Und ...«, meine Mutter stockte.
»Du meinst, Großmama hatte ein Verhältnis«, half ich ihr weiter.
Meine Mutter nickte.
»Das ist doch nicht so schlimm«, kommentierte ich ihr zurückhaltendes Nicken.
»Kind, das mag heute alles anders sein. Aber glaubt mir, zu ihrer und auch noch zu meiner Zeit war es ganz und gar nicht üblich, neben dem eigenen Mann noch einen weiteren zu lieben.«
»Wer von uns ist schon normal?«, nuschelte ich.
»Also, eure Großmutter hatte einen Liebhaber«, fuhr meine Mutter fort.
»Und du wusstest das«, unterbrach ich meine Mutter unduldsam.
»Wenn du mich unterbrechen willst, dann höre ich sofort auf.« In die Augen meiner Mutter kroch jenes Leuchten, das mich in der Kindheit davor gewarnt hatte, ihre Nähe zu suchen. Nun war ich aber erwachsen. »Komm schon. Ich werde dich nicht mehr unterbrechen«, versprach ich halbherzig.
»Wer es glaubt«, fuhr Martin auch sogleich dazwischen.
»Du brauchst dich gar nicht so aufspielen«, konterte ich und schaltete mein Lächeln aus.
Martin grinste und erwiderte: »Hab ich‘s nicht gesagt? Nichts als leere Versprechungen.«
Ich biss mir auf die Unterlippe und sah Martin verärgert an.
»Ich hätte überhaupt nichts gesagt, wenn du mich nicht
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