Mein Mann, der Liebhaber und der Tote im Garten
fragte ich.
»Na ja, Herbert und ich lauschten an der Tür. Und da hörten wir, wie meine Mutter den Mann in einer Weise beschimpfte, wie ich es weder vorher noch nachher jemals bei ihr erlebt hatte. Es waren Wörter dabei, die eurer Großmutter bei normalem Verstand niemals über die Lippen gekommen wären. Aber an jenem Abend war sie völlig außer sich. Wie sie später erzählte, hatte Bertram sie gebeten und schließlich unter Drohungen gefordert, sie sollte sich endlich scheiden lassen. Und sie hätte immer wieder nein gesagt. Schon um meinetwillen hätte sie einer Scheidung unter keinen Umständen zugestimmt, erklärte sie später. Ich denke aber, viel schlimmer wäre der gesellschaftliche Skandal für sie gewesen. Sie hätte ihr Amt als Ehrenvorsitzende des Mädchen-Reitvereins niederlegen müssen - und das wäre für sie einem Alptraum gleichgekommen.«
Meine Mutter lächelte und ich grinste. Wir erinnerten uns sehr gut, dass unsere Großmutter immerhin schon fünfundsiebzig Jahre alt gewesen war und sich dennoch standhaft geweigert hatte, ihr Amt niederzulegen. Sehr zum Ärger jüngerer Präsidiumsmitglieder. Meine Großmutter war zäh, dickköpfig und nicht gewohnt, dass man ihr widersprach. Und sie hatte da so ihre Methoden entwickelt, mit Hilfe derer sie fast vierzig Jahre lang Vorsitzende geblieben war.
Besonders hilfreich waren dafür jährliche Spenden und der Tatbestand gewesen, dass sie dem Verein einen kleinen Teil ihres Vermögens überschrieben hatte. Unserer Familie tat es nicht weh. Es war genug da. Aber für den Verein handelte es sich um eine beträchtliche Summe, die noch zu Lebzeiten meiner Großmutter in eine Stiftung zur Pflege des Reitstalls überführt worden waren. Die Sache hatte einen Haken: Dem Verein stand das Geld erst nach ihrem Ableben zur Verfügung und nur, insofern sie die Stiftung nicht wieder auflöste. Eine Präambel, die in dem umfangreichen Vertragswerk an prominenter Stelle stand.
»Jedenfalls«, fuhr meine Mutter fort, »stritten sie sich erbärmlich. Ich wollte mich nur vergewissern, dass mit meiner Mutter alles in Ordnung war. Deshalb öffnete ich leise die Zimmertür - ihr wisst schon, die Tür des Zimmers, das Claire später bewohnte und das sich gleich neben dem Treppenaufgang befindet.«
Martin und ich nickten.
»Ich steckte also den Kopf hinaus ...«, meine Mutter hielt kurz inne, mit nach innen gerichtetem Blick, so als müsse sie das Bild aus der Vergangenheit erst wieder zurück auf ihre Netzhaut holen, »... und da sah ich, dass der Mann auf der obersten Stufe stand und sie vor ihm auf der Galerie in einem weißen Seidenkleid. Die Arme bedeckten weiße, lange Handschuhe. Ich sehe das Kleid noch vor mir, tailliert, mit üppigem Ausschnitt und schmalen Trägern, die sich auf dem Rücken kreuzten. Sie stand da wie eine Königin. Kerzengerade und hoch erhobenen Hauptes und er schlug ihr mitten ins Gesicht und ihr Kopf flog zur Seite. Er drehte sich von ihr weg, um die Treppe hinunterzugehen. Sie war einen Moment lang benommen, doch dann - er hatte gerade den ersten Schritt getan - stieß sie zu. Von hinten. Ohne ein Wort. Er verlor das Gleichgewicht, taumelte erst zur Wand hin und stürzte dann die gesamte Treppe hinab. Kopf voran, bis er sich schließlich überschlug. Ich schrie und lief aus dem Zimmer, stieß meine Mutter zur Seite, die sich Halt suchend an der Wand abstützte, und rannte zu dem Mann, der am Fuß der Treppe lag.«
»Wie, es war gar kein Unfall?«, fragte Martin dazwischen.
Meine Mutter sah auf und zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Großmama beteuerte, er hätte sie zu Tode geängstigt.«
»Als ob das möglich gewesen wäre! Sie war doch durch nichts zu erschrecken«, kommentierte ich den Vorfall.
»Gibst du mir noch eine Zigarette, Martin? Bitte.«
Martin bot meiner Mama erneut eine Marlboro an.
Ich schwieg und wartete ab. Der Kaffee war längst ausgetrunken und so wusste ich nicht, wohin mit meinen Händen. Ich spielte mit der Ecke einer Stoffserviette.
Es schien mir, als blickte unsere Familie auf eine lange Tradition unglücklicher Todesfälle zurück. Ich lächelte.
»Also, ich glaube«, hob meine Mutter wieder an, »sie wusste, was sie tat. Sie beteuerte, sie hätte im Affekt gehandelt. Ich hatte da meine Zweifel. Auf jeden Fall war der Mann tot. Er lag da, die Beine verrenkt, und der Kopf stand in einem merkwürdigen Winkel vom Hals ab, die Augen waren blicklos starr. Meine Mutter rührte sich nicht und sah zu,
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