Mein Mutiger Engel
Mädchen ihr das Ale brachte. "Köstlich", lobte sie, nachdem sie einen Schluck davon getrunken hatte. "Braut ihr hier selbst?"
"Oh ja, Maam. The Lamb and Flag ist in der ganzen Gegend dafür bekannt."
"Und nicht nur dafür, soweit ich gehört habe", bemerkte Katherine ruhig. Rasch fasste sie das Mädchen beim Handgelenk, bevor es sich entfernen konnte. "Ihr sollt auch einen berüchtigten Wegelagerer zu euren Stammgästen zählen."
"Jetzt nicht mehr, Maam." Die junge Frau blickte unschlüssig auf die Hand, die sie festhielt. "Die Konstabler haben ihn vor knapp einem Monat gefasst."
"Soso … Erzähl mir davon", meinte Katherine. "Hast du den Schurken gut gekannt?"
Da spürte sie hinter ihrem Rücken einen Luftzug, und mit einem Mal änderte sich die ganze Atmosphäre. Eine weitere Person war in den Schankraum getreten. Katherine hielt vor Spannung den Atem an.
"Er hat uns von Zeit zu Zeit besucht", räumte die junge Frau mürrisch ein. Unwillkürlich blickte sie zur Tür, was Katherine keineswegs entging.
"Ich kann mir vorstellen, wie erleichtert ihr darüber wart, dass der falsche Mann verhaftet wurde", bemerkte sie in leichtem Plauderton.
"Ja … Nein! Wovon reden Sie da?"
"Von einem Justizirrtum. Ein Glücksfall für Mr. Standon und seine Freunde, Pech für den Mann, der nun an den Galgen kommen wird." Sie lauschte angestrengt auf das leiseste Geräusch hinter ihr. "Von einem Mann mit Black Jack Standons Ruf hätte ich etwas anderes erwartet."
"Wovon reden Sie?", wiederholte das Schankmädchen stur.
"Black Jack gilt als mutig und anständig. Es sieht ihm gar nicht ähnlich, zuzulassen, dass ein Unschuldiger an seiner Stelle gehängt wird. Was ist daran schon rühmenswert?"
Nun konnte Katherine den dritten Anwesenden direkt hinter sich spüren. Lautlos hatte er sich genähert. "Guten Morgen, Sir", begrüßte sie ihn, ohne sich umzudrehen. "Wollen Sie sich nicht zu mir setzen? Noch einen Krug für den Herrn, bitte sehr", wandte sie sich lächelnd an das Schankmädchen.
"Dazu sage ich nicht Nein." Ein hochgewachsener Mann trat vor und nahm ihr gegenüber Platz. Auf den ersten Blick sah er Nicholas so ähnlich, dass es ihr schier die Sprache verschlug, aber dann fielen ihr gewisse Unterschiede auf. Dieser Mann war etwa zehn Jahre älter; gut achtunddreißig, wenn nicht gar vierzig. Er hatte eine gebrochene Nase und ein breiteres Gesicht mit weniger deutlich ausgeprägten Wangenknochen. Als das Schankmädchen einen Krug Ale vor ihn hinstellte, trank er die Hälfte davon in einem Zug, ohne den Blick von Katherine abzuwenden.
"Was wissen Sie über Black Jack Standon, meine Dame?"
"Nichts. Aber ich kenne den Mann, der an seiner Stelle verhaftet wurde; ich bin mit ihm vermählt."
"Dann erklären Sie doch der Obrigkeit, dass eine Verwechslung vorliegt."
"Mir fehlen die Beweise. Nur der echte Black Jack könnte meinen Gatten entlasten. Wenn er über unsere Lage Bescheid wüsste, würde er uns gewiss helfen wollen."
Der Mann betrachtete sie lange. Schließlich brummte er: "Hmm. Und was hätte er davon?"
"Seinen Stolz", sagte Katherine schlicht.
Draußen im Hof wartete John mit zunehmender Ungeduld auf Katherine. Noch zehn Minuten, allerhöchstens fünfzehn, dann würde er hineingehen, ganz gleich, wie seine Befehle lauteten.
Als er schon drauf und dran war, vom Kutschbock zu steigen, ging plötzlich die Tür auf. Katherine trat aus dem Haus und sagte über ihre Schulter hinweg: "Vielen Dank! Wusste ichs doch, dass ich mich in Ihnen nicht geirrt hatte."
Auf der Rückfahrt nach Hemel Hempstead erlebte Katherine eine viel unangenehmere Szene als ihre Begegnung mit dem Wegelagerer. John nahm kein Blatt vor den Mund, während er seiner Angst um sie sowie seinen Selbstvorwürfen, weil er ihr Treffen mit Black Jack zugelassen hatte, Luft machte.
"Und reden Sie sich ja nicht damit heraus, dass Sie jetzt als verheiratete Frau tun und lassen können, was Sie wollen, Miss Katherine!"
"Das habe ich nicht gesagt", erwiderte sie besänftigend. "Verstehen Sie doch, ich muss für Mr. Lydgate tun, was in meiner Macht steht. Unser nächstes Abenteuer wird Ihnen noch weniger gefallen, fürchte ich, aber ich brauche dennoch Ihre Hilfe", fügte sie mit einem vertrauensvollen Augenaufschlag hinzu.
"Klimpern Sie mir nicht mit den Wimpern, Miss Katherine! Darauf falle ich nicht herein."
"Hoffen wir, dass Jenny ebenso erfolgreich gewesen ist wie wir. Dann können wir übermorgen wieder nach Hause fahren."
Jenny erwartete
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