Mein Mutiger Engel
ihrem Entsetzen übermannten sie plötzlich ihre Gefühle, und ihre Stimme erstarb. Nachdem sie die Fassung wiedergefunden hatte, fuhr sie in leichtem Ton fort: "Ich ließ ihm Seife bringen."
"Sehr vernünftig!", rief der Duke lachend. "Aber nun möchte ich dir die Miniaturen in der Vitrine drüben am Fenster zeigen. Komm mit, sie werden dir gefallen."
Katherine folgte ihm zu einem Erkerfenster hinüber und beugte sich über einen mit einer Glasplatte bedeckten Tisch, auf dem eine Reihe erlesener Miniaturen lag. Während sie sie bewunderte, hörte sie, wie an beiden Enden der Galerie Türen geöffnet wurden und Stimmen ertönten.
"Robert! Wo ist Katherine?"
"Sie war noch hier, als ich zu den Stallungen gerufen wurde."
"Um Himmels willen, wenn sie alleine herumspaziert, wird sie sich im Labyrinth der Gänge verirren."
In dem Maße, wie die Brüder aufeinander zugingen, kamen ihre Stimmen immer näher. Nun standen beide in der Mitte der Galerie. "Dann wird sie sicher an der nächsten Klingelschnur ziehen", meinte Robert beschwichtigend.
"Das hat sie glücklicherweise nicht nötig", ließ sich da der Duke vernehmen. Mit Katherine am Arm trat er aus dem Erker hervor. "Komm, meine Liebe, ich werde dir den Weg zur Eingangshalle zeigen, damit du dich zurechtfindest. Wir haben ein nettes Schwätzchen gehalten", fügte er an seine Söhne gewandt hinzu. "Ein wahres Vergnügen für mich alten Mann."
Nachdem sie die Lange Galerie verlassen hatten, fiel ihm auf, dass Katherine ihn nachdenklich ansah. "Möchtest du etwas sagen, meine Liebe?"
"Ich glaube, keiner Ihrer Söhne hält Sie für alt, Euer Gnaden. Sie necken die beiden bloß gerne."
"Es tut gut, wieder zwei Söhne um mich zu haben, die ich necken kann", gab er zurück. "Aber das darfst du ihnen nicht verraten."
"Nein, natürlich nicht", beruhigte sie ihn, dann trennten sie sich am Fuß der Haupttreppe.
Was hatte Nick doch gleich geantwortet, als sie ihn fragte, weshalb er ihre Ehe erst nach Ablauf eines Monats auflösen lassen wollte? Um den Charme meiner Familie auf dich wirken zu lassen. Robert war ihr auf Anhieb sympathisch gewesen, und nun stellte sie zu ihrer Überraschung fest, dass sie sogar den einschüchternden Duke gern hatte. Vermutlich würde sie alle beide sehr lieb gewinnen, wenn sie ein paar Wochen in ihrer Gesellschaft zubrachte. Aber sie musste selbstverständlich trotzdem auf der Annullierung ihrer Ehe bestehen. Gerade weil sie die Familie mochte, durfte sie sich ihr nicht aufdrängen.
In ihren Gemächern hatte Jenny ihr schon warmes Wasser, Haarbürsten und die Abendkleider – eine sehr beschränkte Auswahl – bereitgelegt. Während Katherine sich wusch, ließ sie zum ersten Mal den Blick durch das Schlafzimmer schweifen. Ein Schaudern lief ihr über den Rücken, als sie die eisig kalte Atmosphäre in sich aufnahm.
Die Wände waren mit blauem Moiré tapeziert, der Parkettboden größtenteils mit einem großen, blau gemusterten chinesischen Teppich bedeckt, und die hohe Stuckdecke erinnerte sie an den Zuckerguss auf einer kunstvoll verzierten Torte. Nicht einmal das Bett machte mit seiner weißen Spitzendecke und seinen Vorhängen aus kühler blauer Seide einen gemütlichen Eindruck. Es war so hoch, dass sie einen Schemel benötigen würde, um hineinzusteigen.
Sogar die Gemälde an den Wänden trugen zu ihrem Unbehagen bei. Bei dem einen handelte es sich um das Porträt einer exquisiten jungen Dame in einem üppigen Gewand, prachtvoll mit Diamanten geschmückt, die dem Betrachter verächtlich entgegenblickte. An einer anderen Wand hing die Darstellung einer antiken Szene, in der Jungfrauen zu einem Opferaltar gezerrt wurden.
Jenny folgte Katherines Blick und verzog das Gesicht. "Schöne Bilder für ein Schlafzimmer! Davon bekommt man ja Albträume. Hier, Ihre Perlenohrringe, Miss Katherine."
Katherine, die sich beinahe selbst wie eine Jungfrau auf dem Weg zum Opferaltar vorkam, legte beklommen ihren Schmuck an. Wenn sie schon das Mittagessen als eine Qual empfunden hatte, wie viel schlimmer musste dann erst das förmliche Abendessen werden? Sie musste mit den drei Herren höflich Konversation treiben, obwohl sie zwei von ihnen kaum kannte und in den dritten aussichtslos verliebt war. Ganz zu schweigen von der Gefahr, dass sie auf Grund ihrer Unerfahrenheit die Etikette verletzte und sowohl sich selbst als auch Nicholas blamierte.
Am liebsten hätte sie Jenny angewiesen, die Koffer zu packen und John die Pferde anspannen zu lassen, um
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