Mein mutiges Herz
über ihren Bruder zu machen.“
Thor sagte nichts. Und in seiner Schweigsamkeit wirkte er noch bedrohlicher.
„Guten Tag, die Herren“, verabschiedete Lindsey die beiden.
„Guten Tag, Miss Graham.“ Bertram setzte den Zylinder auf sein schütteres Haupt und verließ gemeinsam mit seinem Kollegen das Büro.
Thor sah sie streng an. „Sagen Sie jetzt bitte nicht, Sie wären alleine mit den Herren fertig geworden.“
„Ich habe mich wacker geschlagen.“
„Sie haben gelogen, und das wissen die Constabler. Bei den Göttern, Lindsey, Sie helfen Ihrem Bruder doch nicht, wenn Sie der Polizei Lügengeschichten auftischen.“
„Ich muss Zeit gewinnen. In ein paar Tagen widerrufe ich meine Aussage, behaupte, ich hätte mich geirrt und das Datum verwechselt. Aber das muss warten. Ich muss herausfinden, wer diese Frauen auf dem Gewissen hat. Das ist der einzige Weg, um den Namen meines Bruders reinzuwaschen.“
Der Blick seiner blauen Augen durchbohrte sie. „Warum überlassen Sie es nicht der Polizei, den Mörder zu finden? Glauben Sie denn tatsächlich, Sie könnten das besser?“
„Ich bin schließlich Journalistin. Es gehört zu meinem Beruf, Informationen zu sammeln. Und genau das werde ich tun.“
„Sie sind eine Frau, Lindsey, ob Ihnen das gefällt oder nicht. Es wurden bereits zwei Frauen getötet.“
„Ich werde meinem Bruder helfen – ob Ihnen das gefällt oder nicht!“ Sie kehrte ihm den Rücken zu, griff nach ihrem Retikül und wollte zur Tür.
Thor hielt sie am Arm zurück. „Wollen Sie nach Hause?“
„Es geht Sie zwar nichts an, aber die Antwort ist Ja.“
„Steht Ihre Kutsche vor der Tür?“
„Bei schönem Wetter gehe ich zu Fuß.“
„Sie sind aufgebracht und nervös. Ich begleite Sie.“
Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber er schob sie bereits zur Tür, nahm im Gehen ihren Mantel vom Haken und führte sie aus dem Gebäude. Auf der Straße winkte er eine Mietdroschke herbei, half ihr beim Einsteigen und nahm auf der Bank neben ihr Platz, während der Kutscher das Gefährt in Bewegung setzte.
„Sie sind eine schwierige Person“, sagte Thor.
„Und Sie sind ein lästiger Mensch, der sich in alles einmischt“, entgegnete sie schlagfertig.
Seine Kieferpartie spannte sich.„Eine störrische und schwierige Person.“
Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Und Sie ein anmaßender Kerl.“
Thor brummte etwas in sich hinein und lehnte sich in die Polster zurück. Lindsey versuchte, die breite Schulter zu ignorieren, die sie berührte, und den schwachen Hauch nach Seife und Mann, der sie anwehte. Sie verdrängte auch die Erleichterung darüber, dass er sie begleitete, nachdem sie der Polizei gerade eine Lüge aufgetischt hatte, die möglicherweise sie statt ihres Bruders ins Gefängnis bringen könnte.
Tante Delilah ging gerade rastlos im Salon auf und ab, als Lindsey eintrat.
„Lindsey! Gott sei Dank! Die Polizei ist vor ein paar Minuten gegangen. Was, in aller Welt, geht hier vor?“
Lindsey seufzte. „Tut mir leid, Tante Dee, ich hätte dir davon berichten müssen. Aber ich hoffte, die leidige Angelegenheit würde im Sande verlaufen, ohne dich beunruhigen zu müssen.“
„Was für eine leidige Angelegenheit? Sprichst du etwa von den Frauenmorden, die dein Bruder nach Ansicht der Polizei begangen haben soll?“
Lindsey ergriff die bleiche Hand ihrer Tante und setzte sich mit Delilah aufs Sofa. „Er hat es nicht getan. Du weißt, dass Rudy niemals zu einer Bluttat fähig wäre.“
„Natürlich nicht. Gütiger Himmel, ich wünschte, dein Vater wäre hier.“
Das wünschte auch Lindsey – nicht zum ersten Mal in ihrem Leben. Seit ihrer frühen Kindheit schienen ihre Eltern nie da zu sein, wenn sie Rat und Hilfe brauchte. „Er ist nun mal leider nicht hier, also liegt es an uns beiden, Rudys Unschuld zu beweisen.“
„Was willst du damit sagen?“
„Da die Polizei offenbar nicht in der Lage ist, den Mörder ausfindig zu machen, müssen wir es eben tun.“
„Bist du verrückt? Du hast doch keine Ahnung, wie man einen Verbrecher zur Strecke bringt.“
„In erster Linie geht es doch darum, Erkundigungen einzuholen und Hinweise zu sammeln. Damit kenne ich mich als Reporterin nun wirklich aus.“
Tante Dee schüttelte den Kopf, und ihre schwarzen Löckchen wippten an ihren Schultern. „Ich weiß nicht, Lindsey … Wenn dir etwas zustößt … deine Eltern würden mir das nie verzeihen.“
„Und wie wäre ihnen wohl zumute, wenn ihr
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