Mein mutiges Herz
einem Diener den Brief und schickte ihn los, um Thor am Hafen zu suchen.
4. KAPITEL
Lindsey folgte Tante Delilah, die in ihrer eleganten schwarzen, mit Silberpailletten bestickten Abendrobe fantastisch aussah, durch die Menge festlich gekleideter Gäste: ergraute Damen der Gesellschaft, die in verschiedenen Wohltätigkeitsvereinen tätig waren, Direktoren der städtischen Waisenhäuser, Richter und Rechtsanwälte, der Bürgermeister, wohlhabende Kaufleute mit ihren Gattinnen und hohe Beamte im öffentlichen Dienst.
„Dort drüben“, sagte Tante Dee leise. „Mrs. Harvey … die ältere Dame neben dem Getränketisch.“ Abgesehen von ihren silberglänzenden Locken war Emma Harvey eine unauffällige Person Anfang sechzig mit durchschnittlichen Gesichtszügen, nicht zu vergleichen mit der strahlend schönen Delilah.
Und dann brachte ein Lächeln Mrs. Harveys Gesicht zum Leuchten. Sie wirkte nett und warmherzig, eine Frau, die man bereits gern mochte, bevor man sie kennengelernt hatte.
Sie näherte sich den Neuankömmlingen. „Lady Ashford, wie reizend, Sie zu sehen.“
„Ich freue mich über Ihre Einladung, Emma. Darf ich Ihnen meine Nichte vorstellen, Miss Lindsey Graham?“
„Ich bin entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen“, begrüßte die ältere Dame Lindsey.
„Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Mrs. Harvey.“
„Ihre Tante sagte mir, Sie betreiben Recherchen über die Arbeit der Polizei für das Frauenmagazin Heart to Heart .“
Lindsey warf ihrer Tante einen flüchtigen Blick zu, verblüfft über deren Erfindungsgabe; offenbar lag ein gewisses Talent zum Geschichtenerzählen in der Familie.
„Ja, richtig. Ich … aus diesem Grund hoffte ich, Ihren Sohn kennenzulernen.“
„Aber gerne.“ Suchend sah Mrs. Harvey sich in der dicht gedrängten Gästeschar um, und Lindsey folgte ihrem Blick.
In der Ferne nahm sie Krista wahr, die offensichtlich soeben angekommen war, und hielt Ausschau nach Leif. Neben Krista stand ein hochgewachsener Herr, allerdings nicht Leif. Einen Augenblick lang vergaß Lindsey zu atmen. An Kristas Seite stand, im eleganten Abendanzug, der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte.
Unter einem tadellos geschnittenen Gehrock trug er eine Silberbrokatweste, dazu schmal geschnittene, schwarze Hosen. Eine weiße, gerüschte Halsbinde zierte seinen gebräunten Hals. Es war derselbe Mann, dem sie fast jeden Tag in der Redaktion begegnete, und dennoch war er ihr fremd.
Lindsey konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Sie kannte diese strahlend blauen Augen, die breiten Schultern unter dem feinen Tuch.
Ihre Tante versetzte ihr einen kräftigen Rippenstoß, der sie daran erinnerte, wo sie war.
„Mrs. Harveys Sohn nähert sich.“ Tante Dee nickte in die Richtung eines Herrn, schlank, Mitte dreißig, brünettes Haar, der sich einen Weg durch die Menge bahnte. Sein Schritt war energisch, sein Lächeln gewinnend – eine einnehmende Erscheinung.
Lindsey warf einen letzten Blick zur offenen Flügeltür, nur um sich zu vergewissern, dass sie tatsächlich Thor gesehen hatte. Nervös zupfte er an seiner Halsbinde, als würde sie ihn erwürgen. Er überragte alle anderen Herren, wirkte unbeschreiblich männlich mit seinen markant geschnittenen Gesichtszügen und den unglaublich blauen Augen, und die Damen im festlich geschmückten Saal schienen den Blick nicht von ihm wenden zu können.
Lindsey versuchte, ihrer Verwirrung Herr zu werden.
Erst jetzt bemerkte sie, dass sie den Atem anhielt. Als Lieutenant Harvey sich vor den Damen verbeugte, atmete sie wieder und schaffte es, ein liebenswürdiges Lächeln aufzusetzen.
Der Lieutenant drückte seiner Mutter einen Kuss auf die Wange. „Ich habe nur kurz einen Freund begrüßt. Hoffentlich habe ich dich nicht lange warten lassen.“
„Aber keineswegs.“ Sie wandte sich an Tante Dee. „Lady Ashton kennst du ja bereits.“
„Gewiss.“ Er beugte sich über ihre Hand.„Es ist mir ein Vergnügen, Sie zu sehen, Countess.“
Mrs. Harvey wandte sich mit ihrem herzlichen Lächeln an Lindsey, die plötzlich von Gewissensbissen geplagt wurde, die sympathische Frau und ihren Sohn zu benutzen, um Informationen zu erhalten. „Und dies ist die junge Dame, von der ich dir erzählt habe, Miss Lindsey Graham. Sie schreibt für Heart to Heart , ein angesehenes Frauenmagazin.“
Er hatte das gleiche warmherzige Lächeln wie seine Mutter. „Ja, ich kenne die Zeitschrift. Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Graham.“
„Ganz
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