Mein mutiges Herz
Ihnen meinen Fehltritt anvertraute, den ich mit sechzehn …“
Er legte ihr einen Finger an die Lippen, sein Zorn verrauchte. Sein Wutanfall hatte nichts mit ihrer Vergangenheit und alles mit der Gegenwart zu tun. Er nahm sie bei der Hand und führte sie die Steinstufen zum dunklen Garten hinunter.
„Glauben Sie wirklich, ich gebe Ihnen die Schuld daran?“
„Sie nannten mich …“
„Sie sind ein Unschuldslamm, Lindsey. Was geschehen ist, als Sie noch ein halbes Kind waren, ist bedeutungslos. Das ändert nichts daran, wie sehr ich Sie begehre.“
Ängstlich sah Lindsey zu den hohen Fenstern. Aus dem Ballsaal drangen die beschwingten Klänge eines Walzers. Sie erhaschte einen Blick auf Michael Harvey und schien endlich zu begreifen. „Ich brauchte nur eine Auskunft von ihm, deshalb habe ich mit ihm getanzt.“
Er hob ihre Hand an seine glühende Wange. „Ich war eifersüchtig, obwohl ich kein Recht dazu habe. Verzeihen Sie die Worte, die ich im Zorn gesagt habe. Sie sind kein Flittchen.“
„Und ich wollte Sie nicht ohrfeigen. Ich habe noch nie jemanden geschlagen.“
Er zog die Mundwinkel ein wenig hoch. „Ich habe nichts anderes verdient.“
Lindsey lächelte versöhnlich. „Damit haben Sie vielleicht recht.“
„Es gefällt mir nicht, wie er Sie ansieht. Es gefällt mir nicht, dass er denkt, Sie begehren ihn.“
Sie nahm sein Gesicht in beide Hände. „Ich begehre ihn nicht, Thor. Der einzige Mann, den ich begehre, sind Sie.“
Er stöhnte, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn küsste. Ihr Mund fühlte sich warm und weich auf seinen Lippen an und schmeckte nach Champagner. Ihr blumiger Duft benebelte seine Sinne, bis er nicht mehr klar denken konnte.
Tu es nicht, warnte eine leise Stimme, sie ist eine Unschuld, auch wenn sie sich töricht und indiskret benimmt. Als sie aber ihren Mund öffnete, drängte er seine Zunge hinein, um von ihr zu kosten. Sie sank ihm an die Brust, und er schob die Hand in ihr Dekolleté und umfasste die weiche Rundung.
Ihre Brustspitzen richteten sich prickelnd auf, und Lindsey stöhnte. „Thor …“
Sie spürte seine pulsierende Erregung durch den Stoff ihrer Röcke an ihrem Leib. Er küsste sie abermals, bevor er zögernd seine Hand zurückzog.
„Wir müssen damit aufhören, Lindsey. Es könnte uns jemand sehen.“ Und wenn er sich nicht schleunigst von ihr löste, würde er auf der Stelle hier im Garten über sie herfallen.
Thor nahm ihre Arme von seinem Hals und schob sie sanft von sich. Lindsey blickte benommen zu ihm hoch, als bemerke sie erst jetzt, wo sie sich befanden. „O mein Gott.“
„Leidenschaft ist ebenso berauschend wie Opium“, raunte er und half ihr, das Mieder zu ordnen.
Selbst in der Dunkelheit konnte er erkennen, wie ihre Wangen glühten. „Ich muss wieder in den Ballsaal zurück“, hauchte sie.
„Ja.“
„Es ist unnötig, dass Sie sich Sorgen um mich machen. Meine Tante und ich sind in Begleitung von Colonel William Langtree. Er war bei der Armee und ist ein sehr tüchtiger Mann.“
Mochte dieser Colonel noch so tüchtig sein, Thor war dennoch um sie besorgt.
„Mir passiert nichts“, versicherte sie nachdrücklich.
Thor atmete tief. „Gut, ich sehe Sie morgen im Verlag.“
„Vielleicht können wir der Frau einen Besuch abstatten, die gegen meinen Bruder ausgesagt hat.“
Er nickte und schob sie sanft zur Terrasse. „Gehen Sie.“
Mit rauschenden Röcken eilte Lindsey die Stufen hinauf und ins Haus. Thor schaute ihr nach, bis sie verschwunden war.
Er hatte sie gekränkt, ohne dass es in seiner Absicht gelegen hätte. Bisher hatte er Lindsey für eine Frau gehalten, die sich stark fühlte wie ein Mann. Aber er hatte bereits zwei Mal ihre Tränen gesehen, hatte bemerkt, dass sie weich und verletzlich war wie jede andere Frau. Sie wollte ihre Schwächen nur vor dem Rest der Welt verbergen.
Und er war rasend eifersüchtig auf Michael Harvey und so heftig erregt, dass sein ganzer Körper vor Verlangen nach ihr bebte.
Seine Gefühle für diese Frau unterschieden sich völlig von den Gefühlen, die er je einer anderen entgegengebracht hatte. Und etwas in ihm begann zu ahnen, dass Lindsey für ihn bestimmt sein könnte.
Im Wissen, wie unerfüllbar dieser Wunsch war, betete Thor zu den Göttern, dass er sich irrte.
Am Vormittag erhielt Lindsey eine Notiz von Thor, in der er ihr mitteilte, es sei ihm etwas dazwischengekommen, das ihn zwinge, ihre Verabredung zu verschieben. Dieses ‚etwas‘ waren
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