Mein mutiges Herz
regeln. Vertraue deinem Gefühl und deinem Urteilsvermögen, und alles wird sich zum Guten wenden.“
Thor schnaubte verächtlich. „Ich fürchte, wenn es um Frauen geht, trüben männliche Triebe mein Urteilsvermögen.“
Leif lächelte. „Wer weiß, vielleicht ist das auch gut so.“ Er schlug seinem Bruder freundschaftlich auf die Schulter. „Wenn deine Triebe dir Schwierigkeiten bereiten, wirst du das Mädchen heiraten.“
Thor dachte über seine Worte nach.
Leif fragte sich, ob er sich vielleicht doch irrte und Lindsey nicht für seinen Bruder bestimmt war. Thor brauchte eine Frau, die er liebte und die seine Liebe erwiderte. Eine Frau, die sein Leben teilte, wie Krista Leifs Leben teilte. Aber die falsche Frau konnte einem Mann die Hölle auf Erden bereiten.
Die Zeit würde diese Frage klären.
Leif hoffte nur, Thor würde seine männlichen Triebe unter Kontrolle halten, bis er sich über sein Schicksal im Klaren war.
In einem aquamarinblauen Seidenkleid und farblich dazu abgestimmten zierlichen Seidenschuhen trat Lindsey vor den hohen Spiegel in ihrem Schlafzimmer. Der neuesten Mode entsprechend war das schulterfreie Mieder tief dekolletiert und lief in der schmal geschnürten Taille spitz zu. Der weite Krinolinenrock war mit goldenen Applikationen und Bändern verziert, die sich an der Rundung des Ausschnitts wiederholten. Das Haar trug sie in der Mitte gescheitelt, mit goldenen Bändern zu einem Kranz wippender Löckchen gehalten, die auf ihre hellen Schultern fielen.
Lindsey war mit ihrem Spiegelbild zufrieden und wünschte sich, Thor wäre der Mann, für den sie sich zu diesem Ball zurechtgemacht hatte, und nicht Lieutenant Michael Harvey, schalt sich aber gleichzeitig für ihren törichten Wunsch. Mochte Thor auch der Mann sein, der ihr Verlangen entflammt hatte, ein Gentleman war er gewiss nicht. Er machte zwar eine stattliche Figur im Abendanzug, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sich darauf verstand, eine seichte Unterhaltung zu führen oder still auf seinem Stuhl zu sitzen und einer langweiligen Dichterlesung zu lauschen, nur um höflich zu sein.
Im Gegensatz zu anderen Männern strahlte er eine geradezu animalische Männlichkeit aus. Er war der Typ Mann, den eine Frau sich zum Liebhaber nahm, ohne daran interessiert zu sein, ihn zu heiraten.
Die Vorstellung verwirrte sie mehr, als schicklich gewesen wäre. Einen Mann wie Thor würde sie niemals heiraten, ihre Familie wäre strikt dagegen.
Und das zu Recht, redete sie sich ein, im Wissen, dass sie nicht zueinander passten.
Während sie ihr Bild im Spiegel musterte und anerkennend feststellte, wie vorteilhaft das Aquamarin ihre makellose Haut und ihr hellbraunes Haar zur Geltung brachte, dachte sie dennoch mit Bedauern daran, dass Thor sie in diesem schönen Kleid nicht sehen würde.
Als es leise an der Tür klopfte, wandte sie sich mit einem wehmütigen Seufzer vom Spiegel ab. Tante Delilah, die sie als Anstandsdame zum Ball begleiten wollte, rauschte ins Zimmer.
„Du siehst entzückend aus.“
Lindsey lächelte. „Das Kompliment kann ich nur erwidern.“ In einer eleganten weinroten Seidenrobe, mit grünen Samtapplikationen und winzigen Perlen bestickt, das volle schwarze Haar an beiden Seiten ihres anmutigen Schwanenhalses aufgesteckt, war Delilah eine atemberaubende Schönheit.
Sie wirkte allerdings unverhältnismäßig nervös und warf immer wieder unstete Blicke zur Uhr. Und Lindsey fragte sich, ob ihre Tante sich für den Mann so schön gemacht hatte, der die beiden Damen zum Ball eskortierte, Colonel William Langtree, der kürzlich in Ruhestand getreten war.
Der Colonel war ein Bekannter von Coralees Gemahl Gray Forsythe, Earl of Tremaine. Gray hatte ihn Tante Dee vorgestellt, bevor das Paar die etwas verspätete Hochzeitsreise angetreten hatte. Seither war Tante Dee dem Colonel bei verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen begegnet und schien jedes Mal entzückt von seinen Aufmerksamkeiten zu sein.
„Colonel Langtree müsste bald eintreffen“, sagte Lindsey, nur um die Reaktion ihrer Tante zu prüfen.
Delilah glättete eine nicht existierende Falte ihres ausladenden Rockes. „Das denke ich auch. Als Offizier ist William stets pünktlich.“
„In Anbetracht der widrigen Umstände finde ich es sehr anständig von ihm, uns zu begleiten.“ Lindsey dachte an die Schlagzeile in der letzten Ausgabe der London Times :Zukünftiger Baron in den Covent Garden Mordfällen festgenommen.
Weiter hieß es in dem
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